Umstrittene Live-Streaming Plattform YouNow
„Für wie viele Likes zieht ihr euch aus?“
Kinder können bei YouNow auch auf Pädophile treffen
© LKA Niedersachsen
Der neueste Trend aus den USA heißt „YouNow“ – ein Dienst, mit dem man Videos von sich selbst live über das Internet an zahlreiche unbestimmte Zuschauer senden kann. Was sich zunächst harmlos anhört, kann konkret so aussehen: Auf dem Smartphone-Display ist ein achtjähriges Mädchen zu sehen, das offensichtlich live aus ihrem Kinderzimmer filmt. Neben Zuschauer-Kommentaren wie „Geh mal deine Milch trinken und Sandmann schauen“ finden sich auch Äußerungen wie „Tu mir mal nen Gefallen und zeig mir deine Brüste…“
Live aus dem Kinderzimmer
Was bedeutet es, wenn man Fremden aktuelle und ungeschnittene Einblicke aus dem Kinderzimmer gewährt? Hans-Joachim Henschel vom Landeskriminalamt Niedersachsen und verantwortlich für den „Ratgeber Internetkriminalität“ der Polizei Niedersachsen hat sich intensiv mit YouNow beschäftigt. Seine Recherchen im Netz von YouNow bestätigen die zahlreichen kritischen Medienberichte zu der Plattform. „Wir haben Livebilder aus Kinderzimmern, aus dem heimischen Badezimmer, aus Klassenräumen oder Schwimmbädern. Dabei sind sich viele der jungen Nutzer überhaupt nicht darüber im Klaren, welche Folgen es haben kann, wenn sie live persönliche Daten preisgeben oder sich in intimen Situationen zeigen. Die Livestreams können ja nicht nur von anderen gesehen, sondern auch mitgeschnitten und weiterverbreitet werden. Unter den Zuschauern können sich außerdem nicht nur andere Kinder und Jugendliche befinden, sondern auch Erwachsene mit pädophilen Neigungen“, betont der Kriminalkommissar.
Preisgabe von intimen Details
Besonders bei Teenagern ist die neue Möglichkeit der Selbstdarstellung über YouNow beliebt, aber auch Kinder sind von „YouNow“ fasziniert, wie das oben genannte reale Beispiel zeigt. Offiziell ist die Teilnahme eigentlich erst ab 13 Jahren gestattet. Die Jugendlichen präsentieren sich zum Teil sehr intim und verraten private Daten wie Alter, Wohnort, Adresse oder den Namen ihrer Schule. Viele halten außerdem während der Live-Übertragung Schilder hoch, auf denen ihre Facebook-, Twitter- oder Snapchat-Kontaktdaten zu sehen sind. Stalkern, Cybermobbern oder Pädophilen wird damit Tür und Tor geöffnet. „Häufig geschieht es auch, dass das Publikum den Sendenden dazu anstachelt, eine bestimmte Handlung vorzunehmen. Dann kommen Kommentare wie: „Zieh dich doch mal aus“ oder „Iss einen Löffel Zimt“. Weil sie möglichst viele „Likes“ von ihren Zuschauern haben möchten, lassen manche Jugendlichen sich dann zu Dingen hinreißen, die sie normalerweise nicht tun würden“, weiß Henschel. Folgt man den Aufforderungen nicht, kommt es oft zu Beleidigungen. „Weil alles live ist, hat man nicht die Möglichkeit, wirklich über seine Handlungen nachzudenken. Da ist schnell etwas gesagt oder gezeigt, was man nicht mehr zurücknehmen kann.“
Verletzung von Persönlichkeits- und Urheberrechten
Problematisch ist auch das heimliche Filmen von anderen Personen – etwa bei einer Liveübertragung aus dem Klassenzimmer während des Unterrichts, im Schwimmbad, auf der Straße oder in öffentlichen Verkehrsmitteln. „Viele Nutzer wissen nicht, dass sie dabei die Persönlichkeitsrechte anderer Menschen verletzen und sich strafbar machen können, wenn sie andere ohne ihr Wissen filmen und das Ganze dann auch noch veröffentlichen“, betont der LKA-Experte. Auch das heimliche Mitschneiden von Gesprächen oder Telefonaten ist verboten. „Es kommt zum Beispiel vor, dass Telefonstreiche als Livestream mitgeschnitten und über YouNow verbreitet werden. Der Angerufene weiß dabei nicht, dass das Gespräch live an unzählige Zuhörer gesendet wird.“ Läuft während des Streamens im Hintergrund Musik oder ein Film, kann dadurch zusätzlich gegen Urheberrechte verstoßen werden. Hier drohen im schlimmsten Fall Abmahnungen seitens der Musik- und Filmindustrie.
Der „Ratgeber Internetkriminalität“ der Polizei Niedersachsen informiert Bürger und Bürgerinnen über aktuelle Gefahren im Internet und gibt nützliche Tipps rund um das Thema Cybersicherheit.
Frühzeitig aufklären und zuhören
Eltern und Lehrer sollten mit ihren Kindern bzw. Schülern über das Thema YouNow sprechen, um ein Bewusstsein für die bestehenden Risiken zu schaffen. „Dazu ist es auch nötig, dass man sich selbst zu dem Thema informiert und sich damit auseinandersetzt. In der Schule können etwa feste Absprachen dabei helfen, den Umgang mit Handys und Smartphones zu regulieren“, meint Henschel. Derzeit sei YouNow zwar noch nicht bei allen Kindern und Jugendlichen bekannt. „Dennoch halte ich es für wichtig, dieses Thema im Auge zu behalten und frühzeitig anzusprechen.“ Tipps zum Umgang mit YouNow:
- Machen Sie sich mit den Nutzungsbestimmungen zu YouNow vertraut.
- Sprechen Sie mit Ihren Kindern bzw. Schülern über die Risiken, die bei der Nutzung der Plattform bestehen können.
- Mit persönlichen Daten sollte stets vorsichtig umgegangen werden – man weiß nicht, wer sich wirklich hinter den Zuschauer-Accounts verbirgt. Angaben zu Nachname, Alter, Adresse, Telefonnummer, Schulort und zu Accountdaten auf anderen Kommunikationsplattformen sollten nicht genannt werden.
- Achtung – auch das beiläufige Abspielen von Musik und Filmen im Hintergrund kann Urheberrechte verletzen.
- Beleidigungen oder andere Regelverstöße sollten dem Moderatorenteam von YouNow gemeldet werden.
- Auf Aufforderungen wie „Zieh dich aus!“ oder „Zeig deinen BH!“ sollte grundsätzlich nicht reagiert werden. Ermuntern Sie Ihre Kinder dazu, Ihnen von solchen Aufforderungen zu erzählen.
SW (24.04.2015)
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