„Freizeitdroge“ Cannabis
Ernste Gefahr für Kinder und Jugendliche?
Unter Kindern und Jugendlichen wird so viel Cannabis konsumiert wie nie
© Teodor Lazarev/stock.adobe.com
Kaum eine Droge polarisiert so sehr wie Cannabis. Während die einen für eine Legalisierung kämpfen, plädieren andere für ein anhhaltendes striktes Verbot. Fakt ist, dass der Konsum von Marihuana bei Kindern und Jugendlichen seit einigen Jahren ansteigt. Das geht unter anderem aus einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hervor. Experten warnen: Je jünger die Konsumenten, desto schwerwiegender die Folgen. Dr. Matthias Brockstedt, Facharzt für Pädiatrie und Beauftragter Sucht des Berufsverbandes der Ärzte für Kinder- und Jugendmedizin (bvkj) e. V. sprach mit PolizeiDeinPartner über die gesundheitlichen Gefahren, die aktuelle Legalisierungsdebatte sowie präventive Ansätze zur Risikominimierung.
Gehirn noch nicht ausgereift
Der Cannabiskonsum ist unter 12- bis 17-Jährigen weit verbreitet und seit 2011 stetig gewachsen. Das belegen unter anderem eine aktuelle Studie der BZgA sowie der Bundesdrogenbericht 2019. Demnach haben 8,7 Prozent dieser Jugendlichen nach eigenen Angaben mindestens einmal in den zurückliegenden zwölf Monaten Cannabis konsumiert. Im Jahr 2016 waren es 6,9 Prozent und 2011 nur 4,6 Prozent. Besonders alarmierend sehen Experten die Tatsache: Je früher Kinder mit dem Konsum beginnen, desto gefährlicher ist die Droge. Zu den Folgen eines länger anhaltenden Konsums zählen nicht nur vermehrte Schulabbrüche, ein vergleichsweise geringerer Bildungserfolg sowie Risiken im sozialen Bereich. Als psychoaktive Substanz kann Cannabis außerdem die Gehirnentwicklung beeinträchtigen und zu Persönlichkeitsstörungen sowie bleibenden kognitiven Defiziten führen – insbesondere dann, wenn es bereits vor dem 18. Lebensjahr regelmäßig konsumiert wird. Hinzu kommt die Gefahr, dass viele Cannabissorten heutzutage sehr hohe Tetrahydrocannabinol (THC)-Konzentrationen aufweisen und die schädigende Wirkung dadurch potenziert wird.
Risiken minimieren, Resilienz fördern
Aufgrund der genannten gesundheitsschädigenden Folgen raten zahlreiche Kinder- und Jugendärzte von einer Legalisierung von Cannabis ab. Nach Ansicht von Matthias Brockstedt, Facharzt für Pädiatrie und Beauftragter Sucht des Berufsverbandes der Ärzte für Kinder- und Jugendmedizin (bvkj) e. V., ist die Diskussion um eine mögliche Legalisierung jedoch kein Thema der Medizin, sondern vielmehr der Juristen und polizeilichen Aufsichtsbehörden: „Die Kinder- und Jugendmedizin kann und sollte eher über die modernen Ansätze der Bindungsforschung und Risikominimierung („harm reduction“) zur Lösung des Problems beitragen, indem sie Hilfsangebote schafft, Grauzonen vermeidet und Alternativen der Resilienz aufzeigt“, so Brockstedt. Die falsche Fixierung auf die ,Straftäter‘, also cannabiskonsumierende Jugendliche – das sind 8,7 Prozent der Altersgruppe 12 bis 17 Jahre – verstelle den therapeutischen und präventiven Blick darauf, dass immerhin 91,3 Prozent dieser Altersgruppe nicht kiffen. Die moderne Medizin ziele heutzutage deshalb vielmehr darauf ab, suchtgefährdeten Jugendlichen Wege der psychischen Widerstandskraft (Resilienz) aufzuzeigen: „Unter anderem geht es darum, ihnen Hilfsangebote regional und vor Ort in Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe und den Schulen (Bildungssektor) zu vermitteln und den Kontakt zu den Jugendlichen weder im Elternhaus noch im medizinischen Angebot abreißen zu lassen – getreu dem Motto ,Und führe mich in der Versuchung.‘“ Es sei jetzt an der Zeit, den Paradigmenwechsel in der Suchttherapie mit dem Ziel der Risikominimierung konsequent umzusetzen, d. h. neue Wege aufbauend auf den Erkenntnissen der Resilienzforschung zu beschreiten. „Der Anstieg des Cannabiskonsums ist ja gerade unter der bestehenden Verbotspraxis der zurückliegenden Jahrzehnte entstanden“, so Brockstedt. „Draus leite ich nicht notwendigerweise legalistische Forderungen ab. Andererseits erscheint eine Fortführung der bisherigen auf Verbote und komplette Drogenfreiheit setzenden Politik geradezu wie eine paradoxe Intervention im Stile Watzlawicks: ,Es hat nicht funktioniert, machen wir mehr davon.‘“
Dr. Matthias Brockstedt, Beauftragter Sucht des Berufsverbandes der Ärzte für Kinder- und Jugendmedizin (bvkj) e. V.
© Privat
Regulierte und kontrollierte Abgabe
Aufgrund der bekannten Gesundheitsgefahren könnte ein möglicher risikovermindernder Weg nach Meinung des Suchtexperten eine gesetzlich geregelte Abgabe von Cannabis an Erwachsene unter Anpassung des Jugendschutzgesetzes sein. Eine solche Anpassung müsse dann jedoch automatisch auch ein Verkaufsverbot von allen Alkoholika an Jugendliche unter 18 Jahren sowie eine strikte Überwachung dieses Verbots einschließen. „Alles andere wäre scheinheilig und absurd, wenn wir einen wirksamen Schutz vor gesundheitsschädigenden Drogen in Deutschland erreichen wollen“, so Brockstedt. Alkoholwerbung vor jeder Sportveranstaltung sei dabei genauso kritisch zu bewerten und in ihren gesamtgesellschaftlichen gesundheitlichen Folgen für Jugendliche sehr viel gefährlicher als eine überwachte Abgabe von Cannabis an Erwachsene mit dem Risiko der Weitergabe an Jugendliche. „Diese Position vertritt unter anderem auch seit Jahren die Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren (DHS) und findet unsere volle Zustimmung.“
KF (27.03.2020)
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