Sexualisierte Gewalt in der Pflege
Die Malteser setzen auf Prävention
Sexualisierte Gewalt in der Pflege ist ein Tabu-Thema
© Robert Kneschke/adobe.stock.com
Sexuelle Gewalt gegen ältere Menschen ist ein Thema, das in der Öffentlichkeit wenig Beachtung findet. Das liegt unter anderem daran, dass das Dunkelfeld hoch ist: Die Opfer trauen sich nicht über das Geschehene zu sprechen oder sind nicht mehr dazu in der Lage. Gefährdet können vor allem Bewohner von Altenpflege-Einrichtungen sein. Der Kontakt zu den Pflegenden ist hier besonders eng, die Abhängigkeit groß. Leicht kann es zu Übergriffen kommen, die niemand mitbekommt. Um ihr Personal für das Thema zu sensibilisieren, haben die Malteser ein Trainingsprogramm entwickelt. Der Bundespräventionsbeauftragte Ansgar Kesting und Karin Gollan, Leiterin der Stabsstelle Ethik bei den Maltesern, erklären, wie sie mithilfe der Schulungen der Gewalt vorbeugen wollen.
Von Körperkontakt bis zu sexueller Nötigung
„Alles kann vorkommen – von Grenzüberschreitungen wie ungewollten Umarmungen oder Küssen über Berührungen im Intimbereich bis hin zu schweren körperlichen Übergriffen und Vergewaltigungen. Die Opfer fühlen sich häufig ausgeliefert und haben Angst vor den Konsequenzen, wenn sie sich jemandem anvertrauen. Schließlich sind sie oft von der Hilfe des Täters oder der Täterin abhängig“, erklärt Ansgar Kesting. Grundsätzlich müsse man seiner Einschätzung nach mehr für das Thema sensibilisieren. Denn die meisten Menschen verknüpften sexualisierte Gewalt mit Sexualität, aber nicht mit Gewalt. Und dann käme man schnell zu dem Trugschluss, dass alte Menschen sexuell nicht mehr aktiv oder unattraktiv seien und deshalb nicht gefährdet. „Das ist falsch“, weiß der Experte. „Denn bei solchen Übergriffen geht es in erster Linie darum, Macht gegenüber jemandem auszuüben, der einem unterlegen ist. Dieses Machtgefälle auszunutzen ist ein zentraler Aspekt sexueller Gewalt.“
Schulungen für alle Angestellten
Die Malteser haben sich für einen offenen Umgang mit dem Thema entschieden. Im Jahr 2017 wurde ein Schulungskonzept für alle Pflegerinnen und Pfleger entwickelt. „Wir gehen das Thema vom Grundsatz her an und versuchen, sexualisierte Gewalt zu enttabuisieren. Das heißt, wir wollen erst einmal Informationen über sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergeben. Wichtig ist die Frage: Wo kann es Berührungspunkte in meinem Arbeitsalltag geben?“, erklärt Karin Gollan. Das schließe aber auch die eigenen Erfahrungen zum Beispiel mit übergriffigen Bewohnern oder Patienten ein, betont sie. „Wir streben mit dem Konzept einen Kulturwandel in unseren Einrichtungen an. Dann muss man, und das wollen wir, den Angestellten aber auch die Möglichkeit geben, über die eigenen Erfahrungen und Bedürfnisse zu sprechen.“
Täter haben zwei Gesichter
Die Seminare sollen auch für das Vorgehen der Täter sensibilisieren. „Es gibt keine Checkliste, die man abhaken kann. Es geht darum, die Augen offen zu halten und auf Hinweise zu achten. Denn die Täter gehen oft strategisch vor“, erklärt Ansgar Kesting. Hinweise können sein, dass eine Kollegin oder ein Kollege freiwillig alle Zusatzdienste oder Nachtschichten übernimmt, spezielle Beziehungen zu Bewohnern aufbaut oder mit leichten Grenzverletzungen die Aufmerksamkeit der Einrichtung testet. Ziel ist es, sich mit dem Opfer möglichst abzuschotten, so dass niemand etwas mitbekommt. „Wichtig ist auch zu verstehen: Ein Täter hat meist zwei Gesichter – ein freundliches in der Öffentlichkeit und ein finsteres dem Opfer gegenüber. Außerdem sind sie Meister der Manipulation. Sie verstehen es, ihre Umgebung zu täuschen. Oft entpuppt sich derjenige als Täter, von dem man es am wenigsten erwartet“, betont der Präventionsexperte. Und genau das mache die Sache so schwierig: Einerseits brauche man Vertrauen, um gut miteinander arbeiten zu können. Andererseits müsse man aber auch kritisch sein. „Wir möchten erreichen, dass alle Angestellten erkennen, dass sexualisierte Gewalt auch in ihrem Arbeitsumfeld vorkommen kann“, fügt Karin Gollan hinzu.
Mein Kollege – ein Täter?
Das Seminar beschäftigt sich auch damit, was man tun kann, wenn sich ein Verdacht erhärtet. Denn oft beginnt es mit einem Bauchgefühl. „Es ist wichtig, diesem Gefühl nachzugehen. Unsere Angestellten haben die Möglichkeit, sich auch in diesem frühen Stadium bereits professionelle Unterstützung zu holen“, erklärt Karin Gollan. Hilfe finden sie bei internen Präventionsbeauftragten, aber auch bei externen Ombudsstellen, deren professionellen Beratern man den Sachverhalt schildern kann – auch anonym. Mit dieser Möglichkeit soll Handlungssicherheit geschaffen und die Hemmschwelle, über den Verdacht zu sprechen, herabgesetzt werden. „Gerade in der Pflege ist der Zusammenhalt groß. Den Verdacht zu äußern, dass sich eine Kollegin oder ein Kollege an Schutzbefohlenen vergeht, braucht Mut – vor allem, weil es sich zunächst nur um eine Ahnung handelt“, so Gollan weiter. Die Ombudsstellen geben Tipps zum weiteren Vorgehen, zum Beispiel, Verdachtsmomente zu dokumentieren. „Sollte sich der Verdacht erhärten, haben wir einen klaren Plan. Die Vorkommnisse müssen an die Präventionsbeauftragten gemeldet werden. Diese steuern dann den weiteren Prozess und stellen zum Beispiel sicher, dass alle Beteiligten angehört werden und dass die Geschäftsführung eingebunden wird. Außerdem werden grundsätzlich externe Fachberatungsstellen hinzugezogen“, erklärt Kesting.
Viel positives Feedback
Seit 2017 konnten bereits alle Führungskräfte geschult werden. Für die Angestellten werden eintägige Seminare angeboten. „Wir sind überrascht, wie gut die Seminare ankommen. Offensichtlich haben wir einen Nerv getroffen, dass über das Thema gesprochen werden darf“, so Ansgar Kesting. Karin Gollan ergänzt: „Wir möchten, dass innerhalb der Teams die Strukturen immer wieder hinterfragt werden. Es soll selbstverständlich sein, über sexualisierte Gewalt zu sprechen.“
SBa (25.01.2019)
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