Was im Kopf eines Amoktäters vorgeht
Das „Beratungsnetzwerk Amokprävention“ hilft, Amoktaten zu verhindern
Fast alle jungen Täter zeigen vor der Tat ein ausgeprägtes Droh- und Warnverhalten
© Nick Freund, fotolia
Woran erkennt man, ob ein Schüler oder ein Erwachsener einmal zu einem Amoktäter werden könnte? Dieser Frage geht Prof. Dr. Britta Bannenberg am Lehrstuhl für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug der Universität Gießen nach. Sie und ihr Team forschen nicht nur zu den Indizien von Amoktaten, sie helfen auch im Rahmen einer Telefonberatung kostenlos bei der Abklärung der Bedrohung (Gefahrenprognose) und beim Umgang mit bedrohlichen Personen. Das „Beratungsnetzwerk Amokprävention“ arbeitet dabei mit dem „Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden“ zusammen.
Frau Bannenberg, seit wann beschäftigen Sie sich mit der wissenschaftlichen Erforschung von Amoktaten?
Ich beschäftige mich seit 2002 mit diesen sogenannten Amoktaten. Seit 2013 ist mein Lehrstuhl Teil des Verbundforschungsprojekts TARGET des Bundesforschungsministeriums. In diesem Projekt analysieren und vergleichen wir systematisch alle Fälle von Amoktaten in Deutschland, von denen wir Kenntnis erhalten, untersuchen aber auch Fälle von Amokdrohungen.
Sie haben in Ihrer Forschung sechs verschiedene Fallgruppen von Amokdrohern identifiziert. Interessant ist dabei, dass die lautesten und aggressivsten Schüler demnach gerade nicht für Amokläufe prädestiniert sind…
Das ist für Außenstehende erst einmal überraschend. Wenn man eine Amoktat vor Augen hat, dann denkt man, es müsse sich um einen Menschen handeln, der wahrscheinlich vorher schon durch Aggressionsdelikte auffällig geworden ist. Das ist nicht so. Die impulsiven, unbeherrschten und gewalttätigen Schüler findet man später möglicherweise als Mehrfach- und Intensivtäter bei Gewalt- und anderen Straftaten wieder. Sie begehen aber keine Amoktaten. Amoktaten sind ja sehr seltene Formen von geplanten Tötungsdelikten, die eher von stillen Charakteren begangen werden, die aber in sich eine unheimliche Wut und Hass verspüren. Diese Täter lassen ihre Aggressivität eben nicht impulsiv heraus.
Gilt diese Charakterisierung auch für Erwachsene – also, wenn etwa ein Mensch in einer Behörde oder bei einer Gerichtsverhandlung plötzlich Amok läuft?
Bei Erwachsenen gibt es mehrere Typen. Häufig sind auch hier unverträgliche Einzelgänger zu finden: Das sind typische Querulanten, also Menschen, die auf ihre Umwelt undurchschaubar und beunruhigend wirken. Aber mindestens ein Drittel der Täter ist schizophren oder psychotisch erkrankt. Sie handeln aus einem Wahn heraus und sind hoch gefährlich, wenn sie an Waffen herankommen. Ein weiteres Drittel dürfte paranoid persönlichkeitsgestört sein. Sie sind schuldfähig, wenn sie handeln. Doch sie bilden sich immer ein, sie würden angegriffen oder beleidigt. Sie beziehen alles in negativer Hinsicht auf sich und entwickeln immer die Vorstellung „Man will mir was“. Das kann dann beispielsweise in einem normalen Scheidungsverfahren zu ungeahnten Wutausbrüchen führen und dann laufen solche Menschen auch Amok.
Warum sind die Täter immer nur Männer und keine Frauen?
Dass es nur Männer sind, ist nichts Spezifisches für Amoktaten. Gewalt und vor allem schwere Gewalt, also Raub, Erpressung, Gewalttaten im öffentlichen Raum, insbesondere Tötungsdelikte aller Art sind insgesamt vor allem eine Sache der Männer. Mindestens 90 Prozent der Tatverdächtigen sind männlich. Bei den Verurteilten sind es noch mehr.
Kommen wir zum präventiven Teil ihrer Arbeit: Wie genau können Sie die Anzeichen im Verhalten der jungen Männer beschreiben, die auf eine bevorstehende Amoktat hindeuten?
Nahezu alle jungen Täter haben vor der Tat ein ausgeprägtes Droh- und Warnverhalten gezeigt. Bei den erwachsenen Tätern war ein Großteil ebenfalls für die Umwelt bereits bedrohlich. Wir haben erst einmal erforscht, wie die Amoktäter vor der Tat gedroht haben und welche Schlüsse man daraus ziehen kann. Wir haben aber auch geschaut: Wer droht eigentlich ganz offen mit einer Amoktat und was kann man daraus schließen? Wir haben festgestellt: Es gibt einen größeren Teil von Personen, die zwar Drohungen ausstoßen, aber sie tun das aus anderen Motiven als echte Amoktäter. Ein Großteil derjenigen, die zwar Drohungen ausstoßen, diese aber niemals umsetzen würden, drohen aus einer momentanen Wut, Hilflosigkeit oder einem schlecht verstandenen Scherz heraus. Insbesondere unter Jugendlichen ist das der Fall.
Wie kann man die ernsthaften Drohungen denn von den nicht ernst zu nehmenden Drohungen unterscheiden?
Einer, der sagt: „Ich geh nach Hause, ich hol `ne Waffe und ich leg euch alle um!“ – bei dem ist die Wut wahrscheinlich schnell verraucht. Wer sich aber beispielweise Berichte über Schulmassaker in den USA ansieht, sich zurücklehnt, lächelt und sagt: „Sowas wär hier auch mal fällig“, und der, wenn die anderen ihn dann fragen, was er genau damit meint, schnell das Thema wechselt, der begeht viel eher eine Amoktat. Und solche Szenen kommen dann nicht nur einmal, sondern mehrfach vor.
Beratungsnetzwerk Amokprävention Das Beratungstelefon ist von Montag bis Donnerstag in der Zeit von 10 bis 12 und von 13 bis 15 Uhr unter 0641 99 21571 erreichbar. Anfragen per Mail können unter sekretariat.bannenberg
@recht.uni-giessen.de gestellt werden. In dringenden Notfällen wenden Sie sich bitte immer direkt an die Notrufnummer 110.
Sie haben eine Beratungshotline des „Netzwerks Amokprävention“ eingerichtet, an die man sich per Telefon oder E-Mail wenden kann. Wer wendet sich denn an Sie und warum?
Es sind Menschen, die aufgrund von Beobachtungen Befürchtungen entwickeln, aber nicht so genau wissen, was sie jetzt mit den Informationen machen sollen. Es fragen viele Personen an, die sich von Erwachsenen bedroht fühlen. Das kann ein Professor sein, der einen seltsamen Studenten hat. Es kann eine ältere Frau sein, deren Bruder sich auffällig verhält; sie hat mitbekommen, dass er eine Bestellung in einem Waffengeschäft getätigt hat. Wir arbeiten auch mit großen Unternehmen zusammen, die ihre Beschäftigten auf unser Beratungsangebot aufmerksam machen. Wir lassen uns jeden Fall ganz genau schildern und auch das soziale Umfeld, um die Brisanz des Falles richtig einschätzen zu können.
Und an wen vermitteln Sie diese Anrufer dann?
Wenn es uns sehr bedrohlich erscheint, verweisen wir sie direkt an die Polizei. Es gibt aber auch Beratungsstellen, an die man sich wenden kann: In Firmen gibt es etwa psychologische Dienste. Das weiß aber nicht jeder. Und die Anrufer sind sich auch unsicher, was sie auslösen, wenn sie ihre Vermutungen einem Vorgesetzten zur Kenntnis geben. Auch zu diesem Punkt können wir die Anrufer beraten.
WL (26.11.2015)
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