Im Herbst 2023 sticht ein 22-jähriger Gefangener in einem Gefängnis in Frankenthal (Rheinland-Pfalz) einem Justizvollzugsbeamten mit einer Scherbe in den Hals und verletzt ihn dabei schwer. Der Mann muss notoperiert werden. Gegen den Angreifer wird wegen versuchten Mordes ermittelt. Zwar sind lebensbedrohliche körperliche Übergriffe wie dieser in Gefängnissen selten. Dennoch werden viele Beamte im Strafvollzug von Häftlingen körperlich attackiert. Das liegt oft an psychischen Erkrankungen der Gefangenen. PolizeiDeinPartner sprach mit Ute Beeck, der Vorsitzenden der Regionalgruppe Justizvollzug der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Schleswig-Holstein, über die Ursachen und Folgen der Gewalt in Haftanstalten sowie über die Wünsche und Forderungen der GdP.
Knastalltag führt zu Frust und Agressionen
Im Vergleich zu früher sind die Häftlinge grundsätzlich unberechenbarer geworden, meint Ute Beeck. Immer mehr Inhaftierte würden Drogen oder neue psychoaktive Stoffe konsumieren. Dadurch seien sie gewaltbereiter und weniger gut einzuschätzen. Auch der Frust über die eigene Situation spielt eine Rolle: „Die Inhaftierung, eine andere Umgebung, das unfreiwillige Zusammenleben mit einer anderen Person auf engem Raum – da staut sich ganz schnell ganz viel Konfliktpotenzial auf“, meint die Justizvollzugsbeamtin, die derzeit für Personalratstätigkeiten von ihrem eigentlichen Dienst freigestellt ist. Zuvor war Frau Beeck als Vollzugsabteilungsleitung sowie in der Verwaltung der JVA Kiel tätig. Hinzu kommen die vielen neuen Regeln, an die sich die Gefangenen halten müssen. Sprachbarrieren bei Häftlingen mit Migrationshintergrund würden die Betreuung der Gefangenen zusätzlich erschweren und auf beiden Seiten für noch mehr Frust sorgen. Ein weiterer Faktor sei die – oft baulich bedingte – Überbelegung in zahlreichen Justizvollzugsanstalten. Die meisten Haftanstalten sind seit Jahren überfüllt, Stellen für Vollzugsbeamte könnten nicht besetzt werden. „Normalerweise ist es bei uns Schleswig-Holstein so, dass die Haftraumtüren den ganzen Tag offen sind“, so Ute Beeck. „Aber wenn die personelle Situation das nicht zulässt, kommt es zum sogenannten Einschluss. Und im Einschluss langweilt man sich natürlich oder kriegt sich in die Haare – vor allem, wenn die Zelle doppelt belegt ist.“ Oft fehlt den Häftlingen zudem ein geregelter Tagesablauf. „Wir sollen ja versuchen, dass Gefangene auch in Haft einen einigermaßen ,normalen‘ Alltag haben. Dazu mangelt es jedoch an geeigneten Angeboten.“ Immer weniger Gefangene hätten heutzutage ausgelernte Berufe. Andere seien aufgrund ihrer Alkohol- und Drogensucht ohnehin kaum noch in der Lage dazu, zu arbeiten. Ute Beeck: „Für diese Häftlinge müsste man eigentlich Alternativen wie arbeitstherapeutische Beschäftigungen finden. Dazu bräuchte man wiederum dringend Psychologen, um herauszufinden, welche Tätigkeiten die Gefangenen körperlich und geistig überhaupt noch ausführen können. Diese wichtigen Kräfte fehlen uns. Am Ende ist es also ein Teufelskreis.“ Ein weiterer Grund ist, dass immer mehr Täter mit psychischen Störungen in normale Haftanstalten kommen, zum Beispiel mit schizophrenen Erkrankungen. Denn psychisch kranke Straftäter kommen nur dann in sogenannte forensische Kliniken, wenn sie zum Zeitpunkt der Tat bereits besonders schwer erkrankt waren. „Für alle anderen Erkrankten gibt es in normalen Gefängnissen keine ausreichende Behandlung.“ Manche leiden unter schweren Depressionen, andere unter Psychosen. Das heißt: Sie hören Stimmen, sie haben Wahnvorstellungen oder sie fühlen sich verfolgt. Viele waren schon vorher krank, andere entwickeln erst in der Haft psychische Auffälligkeiten.
Tür auf, Faust ins Gesicht
Das Spektrum der Übergriffe durch Häftlinge reicht von Beleidigungen und Anfeindungen über Bedrohungen bis hin zu teilweise schweren Körperverletzungen. Ute Beeck ist selbst in der JVA Kiel beschäftigt und bekommt täglich mit, wie häufig gepöbelt, gedroht und attackiert wird: „Im Durchschnitt gibt es mindestens einen Vorfall am Tag.“ Verbale Anfeindungen sowie körperlich eher ungefährliche Attacken wie Anspucken tauchten nicht einmal mehr in den offiziellen Statistiken auf. In extremen Fällen bewaffnen sich die Häftlinge beispielsweise mit Scherben oder anderen spitzen Gegenständen, die sie als Waffe nutzen. Beamtinnen und Beamten wurden zum Beispiel auch mit kochend heißem Wasser übergegossen, was zu Verbrennungen der Haut führte. „Es gab bereits Situationen, in denen Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus behandelt werden mussten“, berichtet Ute Beeck. „Einmal hat ein Kollege von mir morgens die Haftraumtür geöffnet und hatte direkt die Faust im Gesicht. Dadurch hat er einen Jochbeinbruch erlitten.“ Das Schlimme sei, dass man nie wissen könne, was einen erwartet. „Es kann sein, dass es mehrere Tage am Stück gut läuft und es zu keinem ernsten Vorfall kommt. Genauso gut kann es aber passieren, dass jemand von jetzt auf gleich ohne Grund komplett ausrastet.“
Psychische Belastungen steigen
Die Gewaltvorfälle sind für die Bediensteten nicht nur eine physische, sondern vor allem auch eine psychische Belastung. Beamtinnen und Beamte, die zum Opfer wurden, leiden anschließend unter einem erschütterten Selbstwertgefühl. „Wenn man über einen längeren Zeitraum gemeinsam mit einem Gefangenen an seiner Resozialisierung gearbeitet und eine gewisse Vertrauensbasis mit ihm aufgebaut hat, macht das natürlich etwas mit dem Selbstbewusstsein, wenn genau dieser Gefangene einen plötzlich und unerwartet angreift“, weiß Ute Beeck. „Man hat seinem Gegenüber vertraut und dieses Vertrauen wurde gebrochen. Kommt es mehrmals zu solchen Vorfällen, macht einem das im Laufe von 30 oder 40 Dienstjahren natürlich irgendwann seelisch zu schaffen. Als Resultat haben wir immer wieder Kolleginnen und Kollegen, die nicht mehr im Umgang mit Gefangenen eingesetzt werden können und stattdessen im sogenannten Betriebsdienst arbeiten.“ Gepaart mit dem anhaltenden Personalmangel und einer erhöhten Fluktuation steigt der Druck auf die Beamtinnen und Beamten immer weiter an – teilweise mit ernsten gesundheitlichen Folgen. Einige können zuhause kaum noch abschalten, andere leiden unter massiven Schlafstörungen bis hin zum Burn-Out. Viele können ihren eigentlichen Aufgaben in den Haftanstalten nicht mehr nachkommen. „Weil wir permanent unterbesetzt sind, bleibt vieles auf der Strecke – und eben leider auch die Gefangenen“, so Ute Beeck.
Vieles musss sich ändern
Um der zunehmenden Gewalt entgegenzuwirken, sei es laut Ute Beeck zunächst einmal wichtig, das Problem der Überbelegung dauerhaft in den Griff zu bekommen. „Ein Anfang ist gemacht, indem vor kurzem der Umrechnungsmaßstab einer Geld- in eine Ersatzfreiheitsstrafe halbiert wurde.“ Demnach entsprechen nun zwei Tagessätze Geldstrafe einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe. Eine Ersatzfreiheitstrafe wird angeordnet, wenn eine zu einer Geldstrafe verurteilte Person diese nicht zahlt und das Geld auch nicht eingetrieben werden kann. Häufig kommt dies zum Beispiel bei Schwarzfahrenden vor. „Die Halbierung reduziert zwar die Haftzahlen, aber das Problem der Überbelegung ist damit nicht behoben. Hier muss dringend noch mehr getan werden.“ Darüber hinaus muss sich auch die Situation in der Gesundheitsversorgung der Gefangenen verbessern. „Wir brauchen unbedingt mehr Psychiater in den Haftanstalten und mehr externe Unterbringungsmöglichkeiten für psychisch erkrankte Straftäter. Hier in Schleswig-Holstein gibt es derzeit nur einen einzigen Psychiater für alle Einrichtungen. In anderen Bundesländern ist die Lage nicht viel besser.“ Zuletzt müssen sich laut Ute Beeck auch die Arbeitsbedingungen und personelle Ausstattung für die Bediensteten verbessern. Unter anderem fordert Arbeitsschutzgesetz ausdrücklich die Berücksichtigung der psychischen Belastung in der Gefährdungsbeurteilung von Unternehmen. Das gilt auch für die Beamtinnen und Beamten in Justizvollzugsanstalten. Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen sind demnach verpflichtet, neben den körperlichen auch die psychischen Belastungen zu berücksichtigen, um mögliche Risiken für Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden. „Leider fehlt für die meisten Justizvollzugsanstalten die Erfassung der psychischen Belastungen in der Gefährdungsbeurteilung bis heute.“ Hinzu kommt, dass immer mehr Bedienstete in den Gefängnissen zusätzliche Aufgaben als Brandschutz- oder Arbeitsschutzbeauftragte wahrnehmen müssen. „Diese Tätigkeiten müssen mit Arbeitszeiten hinterlegt und dokumentiert sein. In dieser Zeit stehen die Bediensteten nicht für ihre eigentlichen Aufgaben zu Verfügung“, so Ute Beck „Man könnte uns auf jeden Fall uns entlasten, indem man solche Tätigkeiten an externe Kräfte auslagern würde.“
KF (20.12.2024)