Amokläufe an Schulen verhindern
Psychologen suchen nach Ursachen und Präventionsstrategien
Psychosoziale Krisen können ein Auslöser für Amokläufe sein
© Africa Studio, fotolia
Wenn ein Schüler zur Schusswaffe greift und damit Lehrer und Mitschüler attackiert, ruft das Entsetzen und Verunsicherung in der Gesellschaft hervor. Doch was geht in den Köpfen der Einzeltäter vor? Welche Gründe haben zu der Tat geführt? Einfache Erklärungen greifen hier meist zu kurz. Psychologen achten vor allem auf das Verhalten und die Äußerungen eines Täters in seinem sozialen Umfeld.
Komplexe Ursachenforschung
Im bayerischen Freising erschießt ein Schüler am 19. Februar 2002 nach seinem Rauswurf aus der Wirtschaftsschule drei Menschen und tötet sich danach selbst. Am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt tötet im April 2002 ein 19-jähriger ehemaliger Schüler 16 Menschen und bringt sich anschließend ebenfalls um. Am 11. März 2009 erschießt ein 17-jähriger Schüler an der Albertville-Realschule im baden-württembergischen Winnenden zehn Schüler und drei Lehrerinnen. Die Gründe für solche schockierenden Vorfälle sind komplex. „Alkohol, Drogen oder Kriminalität spielen bei den Täterprofilen meist keine besondere Rolle. Auch das familiäre Umfeld ist meist auffällig unauffällig“, erklärt Mirko Allwinn, Psychologe und Mitarbeiter am Institut für Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt. Allerdings würden viele potenzielle Täter ihre Intention im Vorfeld kommunizieren: „In nahezu allen bisherigen Fällen hat das nähere Umfeld des Täters etwas mitbekommen.“ Die Forscher bezeichnen ein solches Verhalten auch als „Leakage“. Die Äußerungen oder das Verhalten einer Person geben dem sozialen Umfeld entscheidende Hinweise, die im Ernstfall die Chance zum präventiven Eingreifen geben.
Auffälliges Verhalten
Psychosoziale Krisen können ein Auslöser für eine Gewalttat sein, etwa der Verlust eines nahen Verwandten oder auch Mobbing auf dem Schulhof. „Rückblickend hat es meist eine psychosoziale Krise gegeben, die den Jugendlichen überfordert hat. Dabei steht nicht so sehr die Schwere der persönlichen Krise im Vordergrund, sondern wie der Betroffene die Situation empfunden hat“, so Allwinn. Gefährlich wird es, wenn sich Jugendliche im Internet mit Amokläufen und Gewalttaten beschäftigen und sich mit den Tätern identifizieren. Im Fall des 15-jährigen Schülers am Robert-Bosch-Gymnasium in Gerlingen, der 2016 möglicherweise einen Amoklauf vorbereitet hatte, aber vorher gestoppt werden konnte, fand die Polizei Patronen, Messer und Dolche sowie einen Fluchtplan der Schule. Außerdem stand der Jugendliche im Chat-Kontakt mit dem Amokläufer, der später am Münchener Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen tötete. In seinem Fall war einem anonymen Instagram-Nutzer das mutmaßliche Profil des Jugendlichen aufgefallen, in dem er Fotos von Waffen, selbst gebastelten Bomben und Amokläufern hochgeladen hatte. Hinsehen und Eingreifen kann Amoktaten verhindern.
Etwas unternehmen
Nach einem Amoklauf brauchen vor allem diejenigen psychologische Betreuung, die das Ereignis unmittelbar miterlebt haben. Aber auch die Mitschüler des Täters, Lehrer und Eltern oder die Eltern von getöteten Schülern könnten Opfer eines Traumas werden. Psychologische Ersthilfe leisten Seelsorger und Notfallteams, die unmittelbar am Ort des Geschehens mit der Betreuung beginnen. Die Spezialisten nehmen den Kontakt mit den Betroffenen auf und bieten auch an, in naher Zukunft als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. Dadurch wird den Betroffenen das Gefühl vermittelt, dass sie mit ihren Gedanken und Ängsten nicht alleine gelassen werden. „Wenn die Schülerinnen und Schüler über das Thema sprechen wollen, sollten Lehrkräfte es altersgerecht aufbereiten und vor allem die Täter nicht in den Vordergrund stellen. Vielmehr sollten die Schulkultur und der Umgang miteinander thematisiert werden“, rät der Psychologe Mirko Allwinn. Doch welche Sicherheitskonzepte können dabei helfen, die Schulen vor dem Ernstfall zu wappnen? Allwinn empfiehlt den Einsatz von Krisenteams an Schulen: „Für ein effektives Bedrohungsmanagement könnte ein solches Krisenteam im direkten Kontakt mit der Polizei stehen. Diese kann dann den stetigen Kontakt zu den Schulen pflegen und dort hin und wieder präsent sein, um mit den Schülern Kontakt aufzunehmen und mit ihnen über Probleme zu sprechen. Dadurch lassen sich besorgniserregende Verhaltensentwicklungen frühzeitig erkennen und erlauben ein präventives Eingreifen.“ Für wenig sinnvoll hält Allwinn sogenannte Amok-Präventionsübungen, die den Ernstfall nachstellen sollen. „Auch eine solche Übung kann zur Traumatisierung führen und würde potenziell Täter informieren“, so der Experte.
Prävention ist möglich
Angesichts ihres Schreckens und der Irrationalität solcher Ereignisse sollte nicht aus dem Blick geraten, dass School Shootings in ihrer Häufigkeit ein vergleichsweise begrenztes Phänomen sind. „Viele Tötungsdelikte in privaten Beziehungen werden in den Medien oft kaum erwähnt, obwohl solche Fälle im Vergleich zu einem Schulamoklauf viel häufiger auftreten“, betont Allwinn. Der Schulhof sei zudem für die Präventionsarbeit bestens geeignet: „Die Schule ist ein idealer Ort, um Informationen mitzubekommen und präventiv eingreifen zu können. Meistens sind die Personen, die sich mit Gewaltphantasien beschäftigt haben sehr dankbar, wenn sie im Nachhinein eine solche Tat nicht begangen haben und psychologische Hilfe erhalten.“ Hinsehen und Eingreifen kann im Ernstfall also potenzielle Amoktaten verhindern und den potenziellen Tätern eine Perspektive bei der Bewältigung ihrer Probleme geben.
AL (24.02.2017)
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