Bundesprogramm „Demokratie leben“: Neue Förderperiode
Das größte Präventionsprogramm des Bundes sieht sich auch Kritik ausgesetzt
Das Bundesprogramm fördert eine vielfältige Gesellschaft
© Kaarsten / fotolia
„Demokratie leben" ist das größte und weitreichendste Präventionsprogramm der Bundesregierung. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) finanziert seit 2015 bundesweit mehr als 700 zivilgesellschaftliche Projekte, die sich für eine starke Demokratie, für ein friedliches Zusammenleben in unserer vielfältigen Gesellschaft und für die Prävention von Extremismus einsetzen. Für die Förderperiode ab 2025 wird der Etat dafür auf 182 Millionen Euro erhöht. Doch es gibt auch Kritik.
Neue Struktur, mehr Geld
Ins Leben gerufen wurde das Präventionsprogramm im Jahr 2014 als Reaktion auf die Aufdeckung der Morde des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Man müsse diejenigen unterstützen, die sich für Zusammenhalt und gegen Hass und Menschenfeindlichkeit engagieren, hieß es. Zehn Jahre später begründete die amtierende Familienministerin Lisa Paus im März 2024 die Fortführung und Erweiterung des Programms folgendermaßen: „Wir haben eine starke demokratische Zivilgesellschaft. Es sind die Menschen, die sich vor Ort engagieren, die unsere Demokratie tagtäglich gestalten und mit Leben füllen. Sie tun dies zum Teil unter widrigen Umständen. Einige sind regelmäßig mit Widerständen bis hin zu Anfeindungen konfrontiert. Um unsere demokratischen Werte zu schützen und zu bewahren, unterstützen wir die zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren in unserem Land. Das Programm 'Demokratie leben!' leistet dazu einen wichtigen Beitrag.“ Gegenüber der Förderperiode 2019-2024 gibt es einige wichtige Änderungen: Für einzelne Programmbereiche wird eine längerfristige Förderung von bis zu acht Jahren ermöglicht. Neben der Durchführung von Präventionsprojekten an der Basis wird auch „mehr Vernetzung, Wissensaustausch und bundesweite Qualitätsentwicklung“ gefördert. Bis zu sieben zivilgesellschaftliche Organisationen können sich zu einem Verbund zusammenschließen. Sie erhalten die Förderung für „Kommunikation, Vernetzung, Qualitätsentwicklung, Interessenvertretung“ sowie Wissenstransfer und fachpolitische Impulse. Inhaltlich geht es bei „Demokratie leben!“ um verschiedene Aspekte: Demokratieförderung, Phänomene „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ (genannt „Vielfaltgestaltung“) wie Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und LSBTIQ*-Feindlichkeit, die Bekämpfung von Rechts- und Linksextremismus, Islamismus sowie vielfältige Beratungsangebote. Einzelne Träger können mit 450.000 bis 600.000 Euro Zuwendungen pro Jahr rechnen. Für die Koordinierung innerhalb der Verbünde stehen je nach Zahl der Kooperationspartner zusätzlich bis zu 200.000 Euro pro Jahr bereit. Feste Eigenanteile müssen die geförderten Organisationen nicht beisteuern: „Die Zuwendungsempfänger müssen sich angemessen an der Finanzierung und Gestaltung der Projekte beteiligen“, heißt es. Das Programm unterstützt neben den NGOs aller Art auch Kommunen (durch die Förderung von „Partnerschaften für Demokratie“) und Bundesländer (durch die Unterstützung von Landes-Demokratiezentren). Außerdem werden Innovationsprojekte gefördert, etwa zur „Konflikttransformation“. Konflikte sollen zum Anlass positiver Veränderung aufseiten aller Konfliktbeteiligter werden. Dabei sollen Empathie, Nähe und Verständnis entstehen. Im zweiten Quartal 2024 konnten Vereine und Verbände ihr Interesse an einer Förderung bekunden. Diese Phase ist mittlerweile abgeschlossen.
Zeigt das Programm überhaupt Wirkung?
Zu den Kritikern des Programms gehört der Historiker Hubertus Knabe. Er stellt die gute Absicht des Programms nicht in Frage: „Was auf den ersten Blick ehrenwert wirken mag, ist bei genauerem Hinsehen ein höchst problematisches Vorhaben“, meint er. Knabe stellt die Wirksamkeit der geförderten Maßnahmen in Frage: „Zwar hat Paus‘ Ministerium seit 2015 über eine Milliarde Euro für Maßnahmen „zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ ausgegeben. Die Kosten stiegen dabei von 40,5 auf 182 Millionen Euro pro Jahr, haben sich also mehr als vervierfacht. Gleichwohl nahm die Zahl der Rechtsextremisten seit 2015 um mehr als 70 Prozent zu, die der Islamisten verdoppelte sich sogar nahezu. Auch die AfD erzielt in Umfragen inzwischen dreimal so hohe Zustimmungswerte.“ Außerdem gelte in Deutschland das Subsidiaritätsprinzip und das besagt, dass nichts auf Bundesebene geregelt werden darf, was auch auf Länderebene geregelt werden kann. Er bezieht sich dabei auf Bedenken, die der wissenschaftliche Dienst des Bundestags mit Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geäußert hatte. Demnach ist die Demokratieförderung in Deutschland Ländersache. Nur bei der politischen Bildung Jugendlicher hat der BGH eine Ausnahme gemacht. Das Programm „Demokratie leben“ wendet sich aber an die gesamte Bevölkerung.
Unter www.demokratie-leben.de findet man alle Informationen des Bundesfamilienministeriums zu diesem Projekt. Kritik am Programm formulierte der Historiker Hubertus Knabe.
Wurden die Mittel sachgerecht eingesetzt?
Gegenüber dem Magazin „Focus“ hat eine frühere Mitarbeiterin des Bundesamts für zivilgesellschaftliche Aufgaben, das seit der Gründung des Programms mit der Zuteilung der Fördermittel beauftragt ist, auf zahlreiche Ungereimtheiten hingewiesen. Die wesentlichen Vorwürfe lauten: Die Vergabepraxis entsprach vielfach nicht den Vorschriften und die Kontrollen waren völlig unzureichend. Vieles sei durchgewunken worden, weil es das Ministerium so wünschte. Eigentlich seien die Projekte zu Transparenz verpflichtet. Doch entweder gäbe es keine Jahresberichte oder darin stünden nur allgemeine Angaben wie „Es wurden 20 Veranstaltungen durchgeführt“. Detaillierte Berichte habe niemand liefern müssen. Auch würden Sachmittel für Personalkosten eingesetzt. „Ob ein Mitarbeiter dann für das Projekt arbeitet, kann keiner kontrollieren.“ Auch der Bundesrechnungshof moniert fehlende Nachweise. Eine „sachgerechte Zielerreichungskontrolle“ sei nicht möglich. Die Einschätzung der ehemaligen Mitarbeiterin: „Demokratie leben!“ sei inzwischen zu einer Art Selbstbedienungsladen für rot-grüne Institutionen geworden. Und es würden auch Vereine gefördert, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stünden. Als Beispiel wird die Autorin Bafta Sarbo genannt, die als erklärte Marxistin im Vorstand der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland tätig ist, die seit 2020 mit 1,5 Millionen Euro durch das Programm „Demokratie leben!“ gefördert wurde.
Trotz allem: Eine wichtige Aufgabe
Schaut man in die Liste der aktuell geförderten Veranstaltungen, so ist bei den allermeisten eine starke Verbindung zu den Prinzipien des Programms erkennbar. Gefördert wird etwa ein Fachtag zur Radikalisierungsprävention in ländlichen Räumen, die Veranstaltung eines Christopher Street Days für den Burgenlandkreis in Zeitz oder eine Reihe von Demokratiegesprächen im Kreistagssaal von Oranienburg. Viele dieser Veranstaltungen, die ohne Zweifel einen Beitrag zur Vielfalt der Meinungs- und Demokratiebildung in Deutschland beisteuern, könnten ohne die Bundesförderung kaum stattfinden. Veranstaltungstitel wie das Stadtteilfest „Schöner Leben ohne Nazis“ in Marzahn-Hellersdorf, einem Stadtteil von Berlin, lassen jedoch aufhorchen. Hier bleibt offen, wer mit dem Schmähbegriff „Nazis“ genau gemeint ist: Ob damit nur auf die Ablehnung bekennender Rechtsextremer gezielt wird, mit denen man nicht zusammenleben möchte, oder ob dieser Kreis nicht doch weiter gefasst ist, was dem Prinzip eines Demokratiefestes widersprechen würde. Zehn Jahre nach seiner Gründung hat das Programm nichts von seiner inhaltlichen Berechtigung eingebüßt. Forderungen nach genauerer Auswahl der geförderten Institutionen und einer besseren Programmsteuerung werden „Demokratie leben!“ jedoch auch weiter begleiten.
(WL, 30.08.2024)
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