Früher gab es in Essen fast in jeder Woche sogenannte „Tumultlagen“: Sie entstanden, wenn die Polizei ein Mitglied eines arabisch-libanesischen Familienclans aufgrund eines Haftbefehls festnehmen wollte oder wenn auch nur ein Auto eines Clanmitglieds, das in der zweiten Reihe parkte, abgeschleppt werden sollte. Dann versuchten zahlreiche aggressive Personen handgreiflich, die Festnahme oder das Abschleppen zu verhindern. Solche Szenen gehören zumindest in Essen der Vergangenheit an.
Der Essener Polizeipräsident Frank Richter berichtete in der GdP-Mitgliederzeitschrift „Deutsche Polizei“: „Die Großfamilien haben ihren vermeintlichen Gebietsanspruch in der Stadt nach außen hin aggressiv dargestellt. Es blieb nicht nur bei verbalen Äußerungen. Da wurde geschubst, gespuckt, getreten, geschlagen. Tumultlagen verzeichnen wir heute mit nahezu null.“ Richter führt diesen Wandel auf das konsequente niedrigschwellige Einschreiten der Einsatzkräfte zurück – und auf die gute Zusammenarbeit mit den anderen Behörden, also mit dem Zoll, der Steuerfahndung, der Bundespolizei, mit der Stadt Essen sowie mit den Justizbehörden: „Die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft ist die Basis unseres erfolgreichen Ansatzes“, betont der Polizeipräsident. Wobei er den größten Erfolgsfaktor in der strikten Arbeitsteilung der Kooperationspartner sieht: „Wenn jede Behörde ihr Handlungsfeld beackert, ohne in die Kompetenzen der anderen einzugreifen, dann zeigt sich der Staat von seiner stärksten Seite“. Das schätzt der Berliner Innensenator Andreas Geisel ganz ähnlich ein: „Die erfolgreiche Bekämpfung der Clankriminalität erfordert Durchhaltevermögen, Professionalität, Sachkompetenz und eine gute Zusammenarbeit zwischen den Behörden.“
Lagebilder aus NRW und Berlin
Mitte Dezember 2021 führte die Berliner Polizei eine Razzia in Wohnungen des stadtbekannten Remmo-Clans durch. Der Hintergrund: die Aufklärung eines aufwändig geplanten und umgesetzten Einbruchs in den Tresorraum einer Sparkasse in Norderstedt. Die Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP) erklärte dazu: „Aufgrund der letzten Jahre kann es niemanden überraschen, dass bei derart spektakulären Straftaten auch immer wieder Spuren nach Berlin und zu bereits bekannten Protagonisten führen. Letztlich muss der eingeschlagene Weg, Gesetzesübertretungen konsequent zu verfolgen und Vermögen zu beschlagnahmen, weitergehen.“ Diese Taktik verfolgen auch die Ermittlungsbehörden in NRW, Bremen und Berlin. In diesen drei Bundesländern fallen die Clans besonders häufig durch Straftaten auf. Wichtig ist aus Sicht der Sicherheitsbehörden, dass die Ermittlungen zu Anklagen und zu Verurteilungen führen, die dann andere Clanmitglieder abschrecken. Der Essener Polizeipräsident Frank Richter schätzt die Situation so ein: „Wo wir Bandenkriminalität, Körperverletzungsdelikte und den gewerbsmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln feststellen, haben wir mittlerweile relativ hohe Haftstrafen wegen Widerstandsdelikten oder gefährlicher Körperverletzung erreicht. Potenzielle Täter wissen mittlerweile genau, dass sie mit empfindlichen Strafen zu rechnen haben.“
Finanzermittlungen stehen aktuell im Fokus
Die Kriminellen aus den arabisch-libanesischen Clans sind international vernetzt und kommunizieren intensiv über alle Ländergrenzen hinweg, und dies geschieht oft über verschlüsselte Smartphones. Bei ihren illegalen Geschäften geht es immer um viel Geld. Dies wird zum Beispiel in Immobilien investiert. Die Analyse der Finanzströme trägt zum Erkennen der Strukturen, zur Aufdeckung der Tatbeiträge und zur Identifizierung der im Verborgenen agierenden Profiteure bei. Im Jahr 2018 gelang es der Berliner Polizei erstmals, umfangreiche Clanimmobilien, die offensichtlich mit illegal beschafften Finanzmitteln erworben wurden, zu beschlagnahmen. Seitdem sind die Finanzermittlungen ein erfolgversprechendes Instrument beim Kampf gegen die Clankriminalität geworden, und dafür muss man auch ihre Kommunikation entschlüsseln können. In Zukunft wird die Auswertung verschlüsselter Täterkommunikation „eine herausragende Bedeutung für die Arbeit der Sicherheitsbehörden sowohl in der Verfolgung wie auch in der Verhütung schwerer Straftaten einnehmen“, heißt es im Lagebild der Berliner Polizei. Das NRW-Lagebild betont die Bedeutung der Finanzermittlungen: „Erfolgreiche Vermögensabschöpfung entzieht den kriminellen Netzwerken die Möglichkeiten zur Geldwäsche, zur Realisierung von Gewinnen sowie zur Reinvestition in neue Aktivitäten und untergräbt damit die zentrale Motivationslage bzw. die weitere Handlungsbasis.“ In Nordrhein-Westfalen wurde eine ressortübergreifende Ermittlungsgruppe aus Mitarbeitenden der Staatsanwaltschaft, Steuerfahndung und Polizei eingerichtet. Diese Task Force ermittelt in den Bereichen Terrorfinanzierung, gewerbsmäßige Geldwäsche, Clankriminalität sowie bei organisiertem Sozialleistungsmissbrauch.
Mischung aus Repression und Prävention
Ein erfolgreiches Präventionsprojekt, das die kriminellen Karrieren von Jugendlichen und Kindern beenden oder gar nicht erst entstehen lassen will, ist „360 Grad – Integration, Orientierung, Perspektiven“. Es startete in den sieben Städten des Ruhrgebiets, die am stärksten von Clankriminalität betroffen sind: Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Oberhausen und Recklinghausen und spricht junge Clanmitglieder und deren Mütter an. Im dem Präventionsprojekt sollen über Gespräche Vertrauen aufgebaut und Angebote zur Verhaltensänderung gemacht werden. Doch die Prävention von Clankriminalität kann nur erfolgreich sein, wenn sie durch Repression begleitet wird. „Eine nachhaltige Repression kann dazu beitragen, auf Dauer die Vorrangstellung des inneren Clanzirkels und das Rollenbild eines übermächtigen Patriarchen zu demontieren. Gerade bei jungen Clanangehörigen erhöhen sich mit Blick auf staatliche Repressionen die Chancen, dass sie ihren vermeintlichen Vorbildern nicht nachstreben, von kriminellen Handlungen Abstand nehmen und sog. „good-lives-models“ erstrebenswerter erscheinen“, heißt es im aktuellen NRW-Lagebild. Der konsequenten und beschleunigten Verfolgung und Bearbeitung sämtlicher Regelverstöße durch Polizei und Justiz komme daher eine besondere Bedeutung zu.
WL (Stand 17.12.2021)