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Polizeiruf, aber wann?

Bei Wohnungseinbrüchen, schweren Unfällen oder Körperverletzungen ist klar, dass Beteiligte oder unbeteiligte Zeugen sofort die 110 oder 112 wählen, um die Polizei zu rufen. Aber es gibt auch Fälle, die nicht eindeutig als gefährliche Situation oder als Straftat erkennbar sind. Schreie aus der Nachbarwohnung, überquellende Briefkästen oder der leichte Blechschaden nach einem Autounfall: Soll man auch in solchen Fällen die Polizei rufen?

Blechschaden, Nachbarschaftsstreit, Prügelei: Wann sollte man die Polizei rufen?

Häusliche Gewalt als Nachbar zu erkennen, ist nicht immer einfach

© coehm/Fotolia

 

Bei Wohnungseinbrüchen, schweren Unfällen oder Körperverletzungen ist klar, dass Beteiligte oder unbeteiligte Zeugen sofort die 110 oder 112 wählen, um die Polizei zu rufen. Aber es gibt auch Fälle, die nicht eindeutig als gefährliche Situation oder als Straftat erkennbar sind. Schreie aus der Nachbarwohnung, überquellende Briefkästen oder der leichte Blechschaden nach einem Autounfall: Soll man auch in solchen Fällen die Polizei rufen?

Wann man die 110 wählen sollte

„Wichtig ist zunächst, dass man die Polizei grundsätzlich rund um die Uhr anrufen kann. Man sollte auf keinen Fall seine Mitteilung auf die typische Bürodienstzeit verschieben“, sagt Frank Rentmeister. Der Erste Polizeihauptkommissar der Kreispolizeibehörde Borken in Westfalen spricht aus Erfahrung: „Gerade ältere Menschen überraschen uns schon mal mit der Aussage: Ich wusste gar nicht, dass ich auch nachts Anzeige erstatten kann.“ Rentmeister rät dazu, nichts auf die lange Bank zu schieben. „Die Polizei ist für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger 24 Stunden am Tag im Dienst!“ Notrufe haben dabei absolute Priorität. Deshalb sollten die Nummern 110 und 112 grundsätzlich nur in Fällen gewählt werden, in denen auch wirklich Not oder Zeitdruck bestehen. „Das ist sicher der Fall bei schweren Verkehrsunfällen oder wenn man gerade eine Straftat beobachtet hat.“ 

Frank Rentmeister, Erster Polizeihauptkommissar der Kreispolizeibehörde Borken (Westf.)

© Kreispolizeibehörde Borken

Die „normale“ Nummer der Polizei

Für Personen, die ein akutes Problem haben oder in einer Notsituation stecken, gilt die Telefonnummer 110. Ist es weniger dringend, kann man auch die Zentrale der Polizei vor Ort unter der „normalen Telefonnummer“ erreichen. Diese findet man unter dem Stichwort „Polizei“ im Telefonbuch. Natürlich sind die Kommissariate, Polizeiwachen und sonstigen Dienststellen auch per Fax oder E-Mail erreichbar. Die einzige Einschränkung der Kontaktaufnahme: „Das Social Network wird bei der Polizei NRW in diesem Sinne noch nicht genutzt.“ Man kann die Polizei kontaktieren, wenn man Fragen und Anregungen hat zu Anzeigen, Unfällen, Straftaten, Gefahrenlagen, sich über das Berufsbild informieren will, bei Demonstrationen oder Fragen zum Waffenrecht. „Eigentlich zu allen Lebenslagen, in denen die Polizei Ansprechpartner für Bürgerinnen und Bürger sein kann“, sagt Frank Rentmeister.

 

Der Notruf: Was ist passiert? (Ereignis, Zahl der Verletzten, besondere Gefahren) Wo ist etwas passiert? Wer meldet das Geschehen? (Name, Standort, Telefonnummer) Nach der Meldung auf das Eintreffen der Polizei warten! 

Zweifels-Fälle beim Notruf

Es gibt Fälle, in denen nicht direkt klar ist, ob man die Polizei rufen sollte oder nicht. Einige Beispiele, in denen man die Polizei unter der 110 anrufen sollte:

Man hatte einen Autounfall mit kleinem Blechschaden ohne Verletzte.

  • Man ist Zeuge eines Unfalls auf der Autobahn, fährt aber weiter.
  • Man sieht jemanden, der ganz offensichtlich nicht mehr fahrtüchtig ein Auto steuert.
  • Man hört laute Schreie/Kinderweinen/Auseinandersetzungen bei den Nachbarn.
  • Man registirert, dass der Briefkasten eines Nachbarn seit Wochen überquillt.

In diesen „Zweifelsfällen“ gilt es, zu differenzieren:

  • Ein Obdachloser liegt reglos bei Kälte draußen, antwortet nicht: Die Polizei unter 110 anrufen oder/und direkt den Rettungsdienst unter der 112.
  • Lärmbelästigung durch laute Musik der Nachbarn: Die Polizei erst dann rufen, wenn man das Problem nicht durch eigene Ansprache lösen kann.
  • Ein Hund winselt und bellt in einem Gebäudekomplex, es ist nicht klar, wo genau: Das hängt von den Umständen ab. Wie lange bellt der Hund schon? Ist das vielleicht sogar üblich? Sofern es ungewöhnlich ist: Die Polizei rufen oder das Ordnungsamt.

Darf man auch anonym anrufen?

Erster Polizeihauptkommissar Frank Rentmeister: „Sofern man sich im Zeugenstand befindet und kein Zeugnisverweigerungsrecht hat, besteht grundsätzlich die Pflicht, die Wahrheit zu sagen und auch die Personalien mitzuteilen.“ Ein Zeugnisverweigerungsrecht haben Ehegatten und bestimmte Berufsgruppen wie Ärzte, Geistliche und Journalisten. Wenn man seine Personalien nicht angibt, obwohl man dazu verpflichtet ist, handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit (§ 111 OWiG) und kann mit einer Geldbuße von bis zu 1.000 Euro geahndet werden. „Anonyme Anrufe werden trotzdem entgegengenommen“, sagt Rentmeister. Inwiefern daraufhin Maßnahmen getroffen werden, richte sich nach dem Einzelfall.

Heißt „Anruf“ immer auch gleich „Anzeige“?

Nicht jeder Anruf bei der Polizei hat auch eine Anzeige der Tat zur Folge. „Wenn der Polizei allerdings eine Straftat geschildert wird, muss sie aufgrund des gesetzlich vorgeschriebenen Strafverfolgungszwangs grundsätzlich ein Strafverfahren einleiten und entsprechend ermitteln“, sagt Frank Rentmeister. Bei bestimmten Straftaten hängt die Einleitung eines Strafverfahrens aber vom Strafantrag des Geschädigten ab. Ist die Entscheidung des Geschädigten noch nicht bekannt, wird automatisch ein Strafverfahren eingeleitet. Wenn eine Ordnungswidrigkeit geschildert wird, zum Beispiel: „Ich habe gesehen, dass mein Nachbar freihändig Fahrrad gefahren ist“, entscheidet die Polizei nach pflichtgemäßem Ermess

Ist man verpflichtet, die Polizei zu rufen?

Es können sich aus bestimmten Situationen sogenannte Garantenpflichten ergeben. Zum Beispiel nach einem Unfall, bei dem man als Autofahrer einen Fußgänger angefahren hat. „Dann muss man Hilfe leisten, dazu kann auch der Anruf bei der Rettungsleitstelle oder der Polizei gehören“, sagt Frank Rentmeister. Inwiefern aber der unterlassene Notruf dann eine Straftat darstelle, hänge vom Einzelfall ab (§ 138 StGB).

Wie reagieren Beamte auf „Übervorsichtige“?

„Wir sind eine bürgernahe Polizei und reagieren grundsätzlich professionell und höflich – auch und gerade wenn es sich etwa um die Seniorin handelt, die regelmäßig anruft und jedes Mal nur die Flöhe husten hört.“ Wenn es die Einsatzlage ermöglicht, versuchen die Polizisten die Anruferin zu beruhigen. „Sofern man sich als Mitarbeiter der Leitstelle aber nicht sicher ist, wird je nach Schilderung eine Funkstreife vorbeigeschickt, um den Sachverhalt zu prüfen und zu helfen.

Scherzanrufe bei Notrufnummern

Aus eigener Erfahrung kann Hauptkommissar Frank Rentmeister sagen: „Es gibt leider sehr viele solcher Anrufe.“ Scherzanrufe bei Notrufnummern sind nach Paragraph 145 des Strafgesetzbuches verboten: „Wer absichtlich oder wissentlich Notrufe oder Notzeichen missbraucht oder vortäuscht, dass wegen eines Unglücksfalles oder wegen gemeiner Gefahr oder Not die Hilfe anderer erforderlich sei, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“ Die Beamten der Kreispolizeibehörde Borken reagieren „gelassen bis strafverfolgend“ auf solche Anrufe. Missbraucht ein Anrufer dauerhaft und zu stark belasteten Zeiten den Notruf, wird er ermittelt und ein Strafverfahren eingeleitet. „Sollte man – und man kann es sehr oft – erkennen, dass es Kinder sind, die sich einen Scherz machen, rufen wir die Eltern an und informieren sie.“ Aber in den meisten Fällen gebe es bis auf das Auflegen einfach gar keine Reaktion. „Weil Scherzanrufe aber unter Umständen einen wirklichen Notruf blockieren, heißt Gelassenheit auf keinen Fall Verständnis“, betont Frank Rentmeister. (KS)

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