< Zivilcourage – eine nötige Tugend

Zivilcourage im Schnellkurs

In der Stadt und im Landkreis München gibt es seit mehr als 20 Jahren Kurse in Sachen Zivilcourage. Was dort geschieht, machen die Veranstalter schon durch die Abkürzung „POLIZEI“ deutlich: „Potenzielle Opfer lernen individuell Zivilcourage und Eigensicherung“.

Polizeibeamte als Trainer


Man kann schnell in brenzlig
e Situationen geraten 

© starkmacher, fotolia

 

 In der Stadt und im Landkreis München gibt es seit mehr als 20 Jahren Kurse in Sachen Zivilcourage. Was dort geschieht, machen die Veranstalter schon durch die Abkürzung „POLIZEI“ deutlich: „Potenzielle Opfer lernen individuell Zivilcourage und Eigensicherung“.


 1989 begann die verhaltensorientierte Präventionsarbeit in der bayerischen Landeshauptstadt. Die Polizeikurse gehörten zum Startangebot. Zunächst waren sie zweitägig angelegt – am ersten Tag wurde Selbstverteidigung unterrichtet, am zweiten Tag ging es dann um Selbstbehauptung. Die Selbstverteidigung hat man bald wieder aus dem Programm genommen, berichtet Kriminalhauptkommissar (EKHK) Arno Helfrich, der Leiter des Kommissariats 105 „Prävention und Opferschutz“ im Polizeipräsidium München: „Wir wollen den Leuten nicht das Raufen beibringen, bei uns steht die Deeskalation im Mittelpunkt.“ Außerdem gibt es genug andere Anbieter von Selbstverteidigungskursen in München. Der Polizei-Kurs wird seit Beginn von der Ludwig-Maximilians-Universität in München auf seine Wirksamkeit hin überprüft. Schon im ersten Jahr meldeten sich 600 Münchner Bürger, die an den Kursen teilnehmen wollten: „Das konnten die Beamten des Präventionskommissariats gar nicht allein bewältigen. Wir waren damals zwölf Leute, und nur vier davon waren beauftragt, diesen Kurs zu entwickeln und durchzuführen“, berichtet Helfrich. Die Lösung für dieses Personalproblem war ebenso einfach und naheliegend: Die Kontaktbereichsbeamten, die überall in München Streife gehen und die direkten Ansprechpartner für die Bürger sind, wurden als Kursleiter ausgebildet. Seitdem bieten sie diese Kurse in ihren Polizeiwachen an. In München bewerben 80 Kontaktbeamte ihre Kurse über Artikel in Anzeigenblättern, Lokalradiosendungen oder beim „Tag der Offenen Tür“ der Polizei. Rund 80 Prozent der Kursteilnehmer sind weiblich. Arno Helfrich liegt sehr viel daran, dass die Kurse auf dem Polizeirevier stattfinden. Das senkt die Schwellenangst vieler Bürger vor dem Betreten einer Polizeiwache: „Wer zum Polizeikurs kommt, der schaut sich auch ein wenig auf der Wache um. Wenn man später in die Situation kommen sollte, die 110 anrufen zu müssen, weiß man, was für Menschen da ans Telefon gehen“, berichtet Arno Helfrich.

PHK Arno Helfrich

Kommissariat „Prävention und Opferschutz“, Polizeipräsidium München © privat

Simulation von Gefahrensituationen

Für die Kursleiter hat das Kommissariat 105 im Münchener Polizeipräsidium als Koordinationsstelle einen Ordner mit genauen Unterlagen zu allen Unterrichtseinheiten erarbeitet. Jeder Kurs dauert rund vier Stunden und besteht aus drei Modulen: Recht, Theorie und Praxis.

Der wichtigste Teil ist der dritte, der den praktischen Übungen vorbehalten ist: In diesem Modul des Polizeikurses simulieren die Teilnehmenden brenzlige Situationen. Stühle werden so hingestellt, wie die Sitzplätze in einem Bus oder einer U-Bahn angeordnet sind : „Dann lassen wir Teilnehmer „einsteigen“, und die Trainer simulieren einen Übergriff oder machen einen der Fahrgäste etwas an“, berichtet Arno Helfrich: „Wir schauen dann, wie die Teilnehmer reagieren und agieren und anschließend wird darüber gesprochen, wie die Gefühlslage der Opfer und der Zuschauer war.“ Diese Situation lässt kaum einen kalt: „Auch wenn die Leute wissen, dass das nur eine Spielsituation ist, empfinden sie es so, als ob es Realität wäre. Sie bekommen Schweißausbrüche oder erzählen anschließend sehr offen von eigenen Erlebnissen.“

Neben dem Durchspielen einer Bedrohung in Bus oder U-Bahn erhalten die Kursteilnehmer noch praktische Tipps: „Wir zeigen den Leuten, wie man frühzeitig agieren kann, um eine bedrohliche Situation im Keim zu ersticken. Wir zeigen anhand eines kleines Schlagkissens, wie sich ein Abwehrschlag anfühlt, wenn man ihn ausführt.“ Auch eine „Stopp“-Übung gehört zum praktischen Teil. Viele Menschen haben noch nie in ihrem Leben anderen gegenüber laut „Stopp“ gerufen – im Polizei-Kurs können sie es ein erstes Mal ausprobieren.

Auf gefährliche Situationen vorbereitet sein

„Klick“ macht es bei den meisten Teilnehmenden bei der praktischen Übung, weiß Arno Helfrich. Denn jeder hat schon mal so eine Situation selbst erlebt oder beobachtet und musste eine Entscheidung treffen. Man kennt ja die üblichen Ausreden: „Es geht mich nichts an“ oder: „Vielleicht kennen die sich ja untereinander“.

Viele Teilnehmer sind überrascht, wie banal die Tipps sind, die die Polizei gibt. Arno Helfrich: „Aufmerksam sein und die 110 ins Handy tippen ist eine einfache Geschichte. Man muss nur in der konkreten Notsituation auch darauf kommen.“

Die Teilnehmer werden im Kurs dazu aufgefordert, sich einmal in Ruhe die bestmögliche Reaktion zu überlegen, wenn sie zum Beispiel auf dem Heimweg verfolgt oder bedroht werden. Können sie unsichere Wegstrecken vermeiden? Wo können sie Hilfe holen? Wie würden sie das im konkreten Fall am besten machen? Wer sich das in einer ruhigen, unbedrohten Situation im Kurs überlegt hat, geht positiv und gestärkt aus dem Polizei-Kurs heraus.

Kontakt
Polizeipräsidium München
Kommissariat 105
Prävention/Opferschutz
Bayerstraße 35-37
80335 München
Tel: 089 2910-4461

Hilfreiche Hasenfüße

Man muss den Täter nicht unbedingt gleich anschreien oder ihn aus der Reserve locken. Es reicht, in der U-Bahn den Fahrer zu verständigen, gegebenenfalls die Notbremse zu ziehen oder über die 110 die Polizei herbeizurufen. Das klingt erst einmal selbstverständlich, aber gerade dazu haben viele Kursteilnehmer Fragen: „Was ist überhaupt ein Notfall?“ oder: „Wenn ich jetzt die Notbremse ziehe, dann darf ich am Ende alles zahlen, was an Kosten entsteht?“ Diese Fragen können die Kursleiter klar beantworten: „Wenn es für mich ein Notfall ist, dann hole ich die Polizei, wen denn sonst“, meint Arno Helfrich. Und dann müsse man auch keinen Schadenersatz für das Ziehen der Notbremse leisten.

Um Zivilcourage zu zeigen, braucht man sich nicht unbedingt in körperliche Gefahr begeben. Arno Helfrich: „Der Hasenfuß ist mir lieber als der Held, aber der Hasenfuß hat ein Handy dabei. Er hat große Löffel und muss telefonieren können.“

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