Kinder geraten immer wieder in Situationen, in denen sie sich unwohl oder bedroht fühlen – sei es durch fremde Personen, Mobbing, Übergriffe oder auch durch schwierige soziale Dynamiken im schulischen Umfeld. Nicht jede Situation ist gefährlich – aber jede kann verunsichern. Im Rahmen des Programms „Nicht mit mir!“ lernen Kinder und Jugendliche, wie sie sich vor, während und nach einer Gefahrensituation richtig verhalten können. Gleichzeitig werden sie dazu motiviert, sich für ihre Gruppe einzusetzen und Zivilcourage im Alltag zu zeigen.
Der zehnjährige Tom steht mit seiner Brotdose am Rand des Fußballfeldes. Drei ältere Kinder haben Leon aus der Parallelklasse in die Zange genommen. Sie nehmen ihm den Ball weg, lachen, schubsen ihn. Viele schauen hin – niemand sagt etwas. Nur Tom geht einen Schritt nach vorn. Mit klopfendem Herzen, aber fester Stimme ruft er: „Hört auf damit. Das ist unfair – lasst ihn in Ruhe!“
Er bleibt nicht allein. Zwei Mitschüler stellen sich neben ihn. Die Älteren zögern – und gehen schließlich weiter. Leon atmet auf. Tom auch. Was für viele nur eine kleine Szene ist, bedeutet für Tom und Leon etwas Großes: Mut, Zusammenhalt, Selbstvertrauen. Genau darum geht es im Präventionsprogramm „Nicht mit mir!“ der Polizei Bremen: Kinder zu stärken – damit sie sich nicht nur selbst behaupten, sondern auch füreinander einstehen können. Sie sollen lernen, ihrem Gefühl zu vertrauen, klar „Nein!“ zu sagen und zu wissen, was in einer unsicheren Situation zu tun ist. Denn Kinder, die wissen, wie sie sich wehren können, sind besser geschützt.
In diesem Text erfahren Sie:
Cool sein – cool bleiben
In verschiedenen Rollenspielen und praktischen Übungen wird Kindern und Jugendlichen vermittelt, wie sich Gewaltspiralen in Gang setzen, wie ein Konflikt eskaliert und wie man ihn gewaltfrei lösen oder vermeiden kann. Dabei lernen die Kinder unter anderem, Gefahren früh zu erkennen, richtig zu reagieren und Hilfe zu holen. Konkret geht es in den Rollenspielen darum,
- in Gewaltsituationen cool zu bleiben
- sich nicht zum Opfer machen zu lassen
- Opfern zu helfen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen
- Gefahren frühzeitig zu erkennen
- Konflikte zu vermeiden
- gewaltfreie Lösungsmöglichkeiten zu finden
- Zivilcourage zu leben
Wo fängt Gewalt an?
Die Polizistin Maike Seifert leitet eintägige Workshops vorrangig mit Schülerinnen und Schülern der 5. und 6. Klasse vor Ort in den Schulen. „Selbstbehauptung, Zivilcourage und ein gesundes Bauchgefühl stehen dabei immer im Mittelpunkt“, erklärt Seifert. Zu Beginn eines jeden Workshops spielt die sogenannte „Gewaltskala“ eine zentrale Rolle. „Wir behandeln dabei ganz viele unterschiedliche Themen aus dem Alltag“, so Seifert. „Auf Zetteln können die Schülerinnen und Schüler einordnen, wie schlimm sie eine gewisse Situation empfinden – zum Beispiel, wenn der Vater ihnen eine Ohrfeige gibt, weil sie etwas kaputt gemacht haben.“ Weitere Beispiele: Wie schlimm ist es, eine weiße Wand mit Graffiti vollzuschmieren? Oder auch: Ist es bereits eine Straftat, einen Einkaufswagen vom Supermarkt mit nach Hause zu nehmen? „Wir wollen mit den Kindern ins Gespräch kommen und uns dabei auch gezielt in andere hineinversetzen: Wie fühlt sich etwa der Hausbesitzer, der jetzt eine schmutzige Wand hat? Und wie fühlt sich eigentlich jemand, der von anderen ausgelacht oder beleidigt wird, weil er angeblich stinkt?“, so Seifert. „Anschließend besprechen wir, welche Möglichkeiten es gibt, sich selbst und anderen zu helfen.“ In den Rollenspielen üben die Kinder auch, wie man in unangenehmen Situationen den Raum verlassen oder in besonders kritischen Situationen weglaufen kann.
Eine zentrale Übung findet auch zum Thema Messergewalt statt. „Ein Messer zur Selbstverteidigung mit sich zu führen, ist eine trügerische Sicherheit und kann schlimme Folgen haben“ weiß Maike Seifert. „Wir wollen den Kindern klarmachen: Waffen fördern Gewalt – bewaffnet euch deshalb niemals selbst!“ Auch die Risiken sozialer Medien kommen im Workshop nicht zu kurz – etwa das Verschicken von Nacktbildern oder aktuelle „Challenges“ auf TikTok.
„Wichtig ist, sich nicht von einer Gruppendynamik im Netz mitreißen zu lassen, weil andere versuchen, einen zu etwas zu überreden, das man eigentlich nicht möchte. Genau solche Situationen üben wir gemeinsam ein.“
Wie Schulen mitmachen können
Die vielen positiven Rückmeldungen der Schülerinnen und Schüler zeigen Maike Seifert und ihren Kolleginnen und Kollegen immer wieder, wie wichtig das Projekt ist. „Die Kinder sind superbegeistert und hören uns einfach ganz anders zu als einer Lehrkraft“, freut sich die Polizistin. „Auch Kinder, die anfangs noch zurückhaltend waren, kommen später zu uns und umarmen uns sogar.“ Die Polizei Bremen hat „Nicht mit mir!“ gemeinsam mit dem ZentralElternBeirat (ZEB), seinem Förderverein (ZEBiS) und dem Landesinstitut für Schule (LIS) entwickelt. Entschließt sich eine Schule zur Durchführung des Programms, kann sie sich an Maike Seifert, Polizei Bremen, maike.seifert@[email protected]) wenden. Auch die Eltern dürfen, wenn sie möchten, an einem Extratermin dabei sein. So können sie später mit den Kindern das Erlernte immer wieder besprechen und üben.
KF (25.07.2025)