Wo hören Spaß und neugierige Anmache auf? Wo beginnt die sexuelle Grenzverletzung? Der Präventionsparcours „ECHT KRASS!“ greift das Thema sexualisierte Gewalt unter Jugendlichen auf. Die Schülerinnen und Schüler erleben das Thema interaktiv und spielerisch. Dadurch wird ihre soziale Kompetenz gestärkt. Sie erfahren einerseits, wie sie sich gegen sexuelle Übergriffe wehren können. Andererseits lernen sie, die Grenzen anderer zu erkennen, anzusprechen und zu respektieren.
Sexuelle Übergriffe gehören zum Alltag
Werbung, Internet, Filme – die Welt der Jugendlichen ist mit visuellen Reizen überfrachtet. Sexualität wird sehr unterschiedlich dargestellt. Das beeinflusst die Heranwachsenden und formt ihre Vorstellung vom Flirten, Kennenlernen und von Beziehung. Doch was ist harmlos, und was ist bereits Grenzverletzung? Mit „ECHT KRASS!“ wurde im Jahr 2014 die erste Wanderausstellung im deutschsprachigen Raum zur Prävention von sexualisierter Gewalt unter Jugendlichen vom Kieler Petze-Institut für Gewaltprävention entwickelt. Saskia Wolfram ist dort für den Fachbereich Schule zuständig und erklärt: „Leider empfinden viele Jugendliche verbale, körperliche und digitale sexuelle Übergriffe heutzutage als „normal“ und haben verlernt, ihre eigenen Grenzen zu erkennen. Umso wichtiger ist es, sie darin zu stärken, sexuelle Grenzverletzungen wahrzunehmen, sich gegen Übergriffe zu wehren und Hilfe in Anspruch zu nehmen.“ Auf der anderen Seite gibt es auch potenziell übergriffige Jugendliche, die nie gelernt haben, dass ihr Verhalten Konsequenzen hat und die keine Alternativen kennen, um Konflikte gewaltfrei zu lösen. „Auch diese Jugendlichen wollen wir mit unserem Angebot erreichen. Sie erfahren in der Ausstellung unter anderem, dass es ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gibt und dass dieses Recht auch von anderen gewahrt werden muss.“
Prävention soll Spaß machen
Der interaktive Mitmachparcours „ECHT KRASS!“ ist für Jugendliche der 7. bzw. 8. Klasse (ab 14 Jahren) konzipiert. An insgesamt fünf abwechslungsreichen Stationen werden verschiedene Aspekte sexueller Gewalt und sexueller Selbstbestimmung behandelt, darunter:
- „Sex Sells“: sexuelle Übergriffe und Grenzverletzungen im Internet, sexistische Werbung, Aufklärung über Pornografie, Mythen über Sexualität
- „Trial an Error“: Flirt- und Anmachsprüche
- „Stopp and Go“: Selbstbestimmte Sexualität, übergriffe Situationen, erotischer Kontakt und Anbahnung von Sex
- „Love and Hate“: Mobbing, Gruppendruck, Unterschied zwischen Abhängigkeit, Missbrauch und Liebe
- „Law and Order“: Mythen über sexuelle Grenzverletzungen und Vergewaltigung, Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, Strafbarkeit
Die gesamte Ausstellung kann angeschaut, angefasst und erlebt werden. An jeder Station gibt es an jeweils drei Informationswänden viel zu entdecken – unter anderem Quiz, Spiele, Kurzfilme und Hörbeispiele. „Auch wenn es um sensible und teilweise schmerzhafte Themen geht, soll Prävention den Jugendlichen Spaß machen“, erklärt Wolfram. „Sie sollen mit Kopf, Herz und Hand lernen.“ Besonders beliebt bei den Schülerinnen und Schülern sind daher auch die begehbaren „Intro-Kabinen“, die das jeweilige Thema erlebbar machen. So richten sich zum Beispiel in der Kabine von „Sex Sells“ mehrere Augenpaare prüfend, flirtend oder aggressiv auf den Besucher und die Besucherin, während die Jugendlichen in der Kabine von „Stopp and Go“ durch Kunststoffhände erfahren, wie bedrückend es ist, gegen den eigenen Willen „angefasst zu werden“. Wenn die Jugendlichen zum Beispiel einordnen müssen, ob sie bestimmte Situationen als Gewalt empfinden oder nicht, will „ECHT KRASS!“ die Jugendlichen auch zur Diskussion auffordern. „Unser Ziel ist es, dass die Schülerinnen und Schüler miteinander ins Gespräch kommen und sich auch mit ihren Lehrerinnen und Lehrern offener über sexualisierte Gewalt und sexuelle Grenzverletzungen austauschen können.“
Lehrer sind oft mit dem Thema überfordert
In einer begleitenden Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer werden unter anderem rechtliche Grundlagen, Risikofaktoren und Folgen von sexualisierter Gewalt besprochen. Lehrkräfte können eine Brückenfunktion zum Hilfesystem übernehmen. „Ihnen fällt es oft schwer, das Thema in ihrer Klasse richtig anzusprechen oder sie wissen nicht, in welchen Fällen es angebracht ist, Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen“, weiß Saskia Wolfram. „Wir wollen mehr Sensibilität für die Situation betroffener Mädchen und Jungen erreichen und den Lehrkräften Handlungssicherheit vermitteln.“
Auch Eltern werden bei „ECHT KRASS!“ im Rahmen eines Info-Abends eingebunden. Denn auch sie wissen oft nicht, wie sie sich verhalten sollen, wenn ihr eigenes Kind von sexueller Gewalt betroffen ist und sich ihnen anvertraut. „Wir wollen Jugendlichen, Lehrern und Eltern klarmachen: „Hilfe holen ist kein Verrat, ist kein Petzen – daher auch unser Name ‚Petze-Institut‘“. Die Rückmeldungen von den Jugendlichen und Lehrkräften auf die Ausstellung seien fast ausschließlich sehr positiv. „Von Eltern hingegen würden wir uns noch mehr Interesse und mehr Resonanz auf den freiwilligen Elternabend wünschen“, so Saskia Wolfram. Ihrer Ansicht nach würden nach wie vor viele Eltern sexuelle Grenzverletzungen nicht als solche erkennen und zu Unrecht glauben, dass sie sich in die Angelegenheiten ihrer Kinder besser nicht einmischen sollten.
Die Jugendlichen lernen, ihre eigenen Grenzen besser zu verstehen und die Grenzen anderer zu respektieren
www.petze-kiel.de
Bis 2027 ausgebucht
Schulen und Jugendhilfe-Einrichtungen, die Interesse daran haben, die Ausstellung auszuleihen, können sich beim Petze-Institut melden. Die einzige Voraussetzung ist ein für die Dauer der Ausstellung freier Raum, der mindestens 50 Quadratmeter groß ist und über einen Stromanschluss verfügt. Anfragen werden immer im Februar des Vorjahres per Mail angenommen. „Seit einigen Jahren erleben wir eine sehr große Nachfrage, weshalb die Ausstellung bereits bis Ende 2026 ausgebucht ist“, berichtet Saskia Wolfram mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Buchungen für das Jahr 2027 können daher erst wieder im Zeitraum vom 1. bis 15. Februar 2026 angenommen werden. „Einerseits ist es toll, dass das Thema sexualisierte Gewalt endlich aus der Tabuzone geholt wird. Andererseits würden wir natürlich gerne allen Anfragen schneller gerecht werden und dadurch noch mehr Schulen erreichen.“ Geplant ist, die Ausstellung in Zukunft neu zu konzipieren – unter anderem soll das Thema digitale Gewalt eine noch größere Rolle spielen.
KF (Stand 30.05.2025)