50 Seiten umfasst das am 1. April 2024 in Kraft getretene Konsumcannabisgesetz (KCanG). Es stellt einen grundlegenden Wechsel in der Drogenpolitik dar. Entsprechend hoch waren die Erwartungen. Der Versuch einer Bilanz ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes fällt unterschiedlich aus – je nachdem, wen man fragt.
Mit der Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken für Erwachsene soll ein zeitgemäßer und entspannter Umgang mit der Droge erreicht werden. Die wichtigsten Ziele des Cannabisgesetzes sind die Entkriminalisierung von Cannabisnutzern, die Regulierung des Marktes und der Schutz von Jugendlichen. Die Bundesregierung will durch die Legalisierung den Schwarzmarkt eindämmen und gleichzeitig die Qualität und Sicherheit des konsumierten Cannabis gewährleisten. Zudem sollen die Strafverfolgungsbehörden entlastet werden, damit sie sich mit schwerwiegenderen Verbrechen befassen können.
In diesem Text erfahren Sie:
- Wie sich die Cannabislegalisierung auswirkt
- welche Risiken die Gewerkschaft der Polizei sieht
- wie die Justiz zum Cannabisgesetz steht
Enger Rahmen bei der Umsetzung
Der Gesetzgebungsprozess gestaltete sich schwierig, denn das EU- und Völkerrecht schließen eine vollständige Legalisierung aus. Nach einem Meinungsaustausch mit der EU-Kommission hat sich die damalige Bundesregierung für ein zweistufiges Vorgehen entschieden: Zunächst sollte der private Besitz bis zu bestimmten Höchstmengen (25 Gramm getrocknetem Cannabis im öffentlichen Raum und 50 Gramm Zuhause) und der Anbau von bis zu drei Cannabispflanzen zum Eigenkonsum erlaubt werden, sofern diese nicht zugänglich für Minderjährige sind. Darüber hinaus dürfen seit dem 1. Juli 2024 nicht-gewerbliche Vereinigungen Cannabis anbauen. Über diese Anbauvereinigungen darf Cannabis an Erwachsene zum Eigenkonsum kontrolliert weitergegeben werden. In einem zweiten Schritt sollte dann ein regional und zeitlich begrenztes Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten und Verkaufsstellen mit wissenschaftlicher Evaluation erprobt werden.
Rückgang bei der Rauschgiftkriminalität
In den ersten Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes zeigen erste Statistiken, dass die Rauschgiftkriminalität signifikant um 34,2 Prozent gesunken ist. Laut Bundeskriminalamt (BKA) liegt das vor allem an der neuen Cannabis-Regelung, da das Delikt „Cannabisbesitz in kleinen Mengen“ für die Strafverfolgungsbehörden nun wegfällt. Andererseits sind im gleichen Zeitraum die Zahlen bei anderen Drogen wie zum Beispiel Kokain deutlich angestiegen. Die Rauschgiftkriminalität bleibt daher nach wie vor ein drängendes Problem.
Einige Kritiker der Cannabislegalisierung hatten mehr Verkehrsunfälle unter Drogeneinfluss erwartet. Doch bislang hat sich das nicht bestätigt. Allerdings sei die Datenlage noch sehr dünn, führt Kirsten Lühmann, Präsidentin der Deutschen Verkehrswacht e.V. (DVW), aus: „Wie hoch der negative Einfluss der Cannabis-Legalisierung auf die Verkehrssicherheit tatsächlich ist, können wir noch nicht abschätzen. Dazu brauchen wir mehr Zeit und mehr Daten.“ Sie plädiert in jedem Fall für mehr Präventionsarbeit: „Wenn in der Bevölkerung beim Kiffen noch Zurückhaltung herrscht, dann müssen wir jetzt an breiter Front unsere Aufklärungsarbeit intensivieren und die Regelungen kritisch überprüfen. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass der Mischkonsum erst so spät geahndet wird und es beim Radfahren praktisch gar keine Grenzen gibt.“ Ab Mitte 2025 sollen bundesweit alle Verkehrsunfälle unter Cannabis-Einfluss separat erfasst werden. Deshalb können erst im Jahr darauf verlässliche Aussagen zu den Folgen für die Verkehrssicherheit getroffen werden.
Organisierte Kriminalität gestärkt
Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) bewertet das Gesetz kritisch, nicht nur in Hinblick auf den Verkehr. Der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Alexander Poitz mahnt: „Insbesondere die Auswirkungen auf den Straßenverkehr verdeutlichen Defizite bei der personellen, technischen sowie finanziellen Ausstattung der Polizei wie unter dem Brennglas. Noch immer gibt es zum Beispiel keine geeigneten Messgeräte. Ich habe immer wieder betont: Im Gesetz steckt viel Theorie, jedoch wenig Praxis.“ Darüber hinaus habe die Politik versprochen, den Schwarzmarkt eindämmen zu wollen. Doch wie das funktionieren soll, habe der Gesetzgeber nicht dargestellt. Laut Poitz sendet das KCanG ein Konsumsignal, dass auch die organisierte Kriminalität auf den Plan ruft: „Gestiegene Nachfrage, neue Zielgruppen, größere Mengen, Preise, Verfügbarkeit und Konsumtouristen stärken eher kriminelle Strukturen als sie zu schwächen.“ Er befürchtet auch eine Unterwanderung von Anbauvereinen durch die organisierte Kriminalität. Hier sehen Kritiker ein weiteres Problem, dass in den engen europa- und völkerrechtlichen Rahmenbedingungen begründet ist: Legale Verkaufsstellen von Cannabis sind nach wie vor untersagt. Gelegenheitskonsumenten, die keine eigenen Pflanzen anbauen oder Mitglied in einem Cannabisclub werden wollen, müssen die Droge nach wie vor über den Schwarzmarkt beziehen, was diesen natürlich pusht. Die letzte Bundesregierung hatte sich deshalb den Kniff mit Verkaufsstellen als begrenzte Modellvorhaben überlegt. Doch ob das unter der neuen Bundesregierung umgesetzt werden wird, ist fraglich.
Bewertung durch die Justiz
Die Rücknahme der Cannabis-Teillegalisierung ist nicht in den Koalitionsvertrag von Union und SPD aufgenommen worden. Insbesondere die bayerische CSU hatte das gefordert, konnte sich aber nicht durchsetzen. Nun sollen erst einmal ab Herbst 2025 die Auswirkungen des Gesetzes evaluiert werden. Eine weitergehende Legalisierung ist jedenfalls vor diesem Hintergrund nicht zu erwarten. Eine Rückabwicklung des Cannabisgesetzes könnte sich andererseits auch als schwierig und vor allem teuer herausstellen. Laut der Neuen Richtervereinigung (NRV), einem Zusammenschluss von Richtern und Staatsanwälten, würden hohe Entschädigungsansprüche entstehen. Die Investitionen, die die Cannabis-Vereinigung über ihre Mitglieder getätigt haben, sind hoch, oft im sechsstelligen Bereich. Außerdem gelten die Lizenzen für sieben Jahre. „Wenn Anbau und Konsum von Cannabis wieder komplett untersagt würden, käme das einer Enteignung der Cannabis-Clubs gleich“, sagte Staatsanwalt Simon Pschorr dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Pschorr bewertet die Erfahrungen in der Praxis positiv: „Bei allen Herausforderungen, die mit der Amnestie verbunden waren und die man nicht kleinreden darf, ist die Entlastung der Justiz nicht unerheblich. Ein Zurückdrehen würde bedeuten, dass die Justiz wieder in großem Maße die kleinen Konsumenten verfolgen muss.“ Doch das ist nur eine Meinung im Justizwesen. Zu einer ganz anderen Einschätzung kommt Susanne Dathe, Oberstaatsanwältin in Stuttgart: „Eigentlich gehört das neue Gesetz abgeschafft. Es führt zu Mehrarbeit, es erlaubt uns nicht mehr auf die Weise wie bisher die organisierte Kriminalität zu bekämpfen, der Jugendschutz hat sich verschlechtert und der Schwarzmarkt ist weiterhin da.“ Sie spielt dabei auf das erlaubte Mitführen von bis zu 25 Gramm für den Eigenbedarf an. „Die Problematik ist jetzt, dass wir deutlich mehr investieren müssen, um auch den Dealer zu überführen, dass er gedealt hat und dass es nicht bloß ein einfacher Besitz ist“, erklärt Hendrik Weis, Leiter des Rauschgiftdezernats der Polizei Stuttgart.
TE (30.05.2025)