Eltern übertragen rechtsextreme Einstellungen oft auf ihre Kinder
Eltern übertragen rechtsextreme Einstellungen oft auf ihre Kinder

Die unsichtbaren Opfer

Kinder rechtextremer Eltern

Kinder, die in rechtsextremen Familien aufwachsen, werden früh mit einem Weltbild konfrontiert, das auf Abgrenzung, Feindbildern und Hierarchien basiert. Das hinterlässt Spuren – in ihrer psychischen Entwicklung, im sozialen Verhalten und im Zusammenleben mit anderen. Umso wichtiger ist es, früh hinzuschauen, zu begleiten und Gegenwelten aufzuzeigen, bevor sich Ideologien in den Köpfen festsetzen.

In diesem Text erfahren Sie:

Zwischen Normalität und Ausgrenzung

Emil lebt mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester in einem ländlichen Ort. Die Familie wohnt in einem gepflegten Haus, der Garten ist ordentlich, Emil hat viele Spielsachen – darunter auch ein Holzschwert mit einem geschnitzten Runensymbol, das er besonders gern mag. Seine Eltern legen viel Wert darauf, dass alles seine Ordnung hat. Fremde Sprachen im Supermarkt stören sie. Wenn im Fernsehen über Geflüchtete berichtet wird, sagen sie: „Die gehören nicht hierher.“ Emil merkt noch nicht, dass seine Welt anders ist. Doch im Kindergarten fällt auf, dass er bestimmte Kinder meidet. Ein Junge mit dunkler Hautfarbe wird von Emil ausgelacht, als dieser ein Lied auf Englisch singt. Auf Nachfrage sagt Emil: „Englisch ist Feindsprache, hat Papa gesagt.“

Nicht alle rechtsextremen Familien sind laut, aggressiv oder offen radikal. Viele leben nach außen ganz normal: Sie sind freundlich zu Nachbarn, engagieren sich in Vereinen oder im Elternrat. Doch hinter geschlossenen Türen wird ein Weltbild weitergegeben, das von Ausgrenzung, Überlegenheit und Misstrauen gegenüber allem Fremden geprägt ist. Eva Prausner vom Berliner Projekt „Eltern stärken“ berät Fachkräfte zum Umgang mit rechtsextremen Eltern. „Besonders Frauen wird nicht zugetraut, überzeugte extrem Rechte zu sein, weil sie nach außen nett und höflich sind oder sich in der Kita engagieren. Es ist wichtig, Frauen hier nicht zu unterschätzen“, erklärt die Expertin gegenüber dem Magazin „Der Paritätische“.

Kindheit in Schwarz-Weiß

Kinder wie Emil wachsen in einem Klima auf, in dem es klare Feindbilder gibt – oft ohne sie beim Namen zu nennen. Die rechtsextreme Weltanschauung beginnt nicht mit Hassparolen, sondern mit kleinen, regelmäßigen Botschaften. „Wir passen gut auf unsere Kultur auf“, „Du musst stolz sein, deutsch zu sein“, „Die anderen verstehen unsere Werte nicht“. Solche Sätze prägen Kinder lange bevor sie ihre Bedeutung erfassen. Dies geschieht oft unbewusst. Eltern geben ihre Überzeugungen weiter, ohne offen hetzerisch zu wirken – durch Erziehungsratgeber aus der Szene, völkisch geprägte Kinderbücher oder Kontakte zu gleichdenkenden Familien. Kinder übernehmen das, was ihnen vorgelebt wird, und ordnen Erlebnisse in dieses Weltbild ein, weil ihnen keine Alternativen gezeigt werden. In rechtsextrem orientierten Haushalten ist das Bild der Welt klar: Es gibt ein „Wir“, ein „Volk“, eine „nationale“ oder „ethnische“ Gemeinschaft, die bewahrt werden muss – und „die Anderen“, die bedrohlich oder auszuschließen sind. Diese Zweiteilung zieht sich durch Erziehung, Gespräche, Fernsehprogramm, Musik und Freizeit. Kinder erleben unter anderem oft:

  • autoritäre Familienstrukturen: Gehorsam ohne Hinterfragen wird erwartet, abweichende Meinungen gelten als Schwäche
  • Feindseligkeit gegenüber Minderheiten: Vorurteile gegenüber Migrantinnen und Migranten, religiöse Gruppen oder queere Menschen sind Alltag
  • Isolation von sozialer Vielfalt: Kontakte zu Andersdenkenden werden misstrauisch beäugt oder verhindert; Freundschaften, Filme und Bücher werden zensiert oder beschränkt

Viele Kinder kämpfen mit Schamgefühlen oder einem niedrigen Selbstwertgefühl

Viele Kinder kämpfen mit Schamgefühlen oder einem niedrigen Selbstwertgefühl

Tascha/stock.adobe.com

Wie Kinder unter dem Weltbild leiden

Kinder aus rechtsextremen Familien tragen oft eine unsichtbare Last. Sie spüren früh, dass ihre Realität nicht mit der Welt draußen übereinstimmt – etwa in der Schule, wo andere Kinder mehr freiheit und Offenheit genießen. Wer von klein auf hört, dass bestimmte Menschen „schlecht“ oder „gefährlich“ sind, lernt nicht, zwischen Individualität und Vorurteil zu unterscheiden. Die Fähigkeit, Empathie zu entwickeln, wird systematisch unterdrückt – es zählt nur Schwarz oder Weiß, Freund oder Feind. Viele dieser Kinder kämpfen mit Schamgefühlen. Sie spüren, dass das, was sie zuhause hören, von außen verurteilt wird – von Lehrkräften, Mitschülerinnen und Mitschülern und der Gesellschaft. Das eigene Zuhause wird zum geheimen Makel, über den nicht gesprochen werden darf. Das nagt am Selbstwert. Der Druck, sich anzupassen und keine Schwäche zu zeigen, ist enorm. Manche Kinder übernehmen die Ideologie ihrer Eltern – andere rebellieren dagegen. Doch beide Wege führen oft zu innerer Zerrissenheit: Sie möchten loyal zu den Eltern sein, gleichzeitig wünschen sie sich eigene Entfaltung und neue Perspektiven. Zum Beispiel, wenn es um das Thema Freundschaften oder Ausgrenzung geht. Eva Prausner erklärt: „Manche Kinder versuchen, die Regeln oder Verbote der Eltern zu umgehen: ,Morgens kann ich mit dir spielen, nachmittags nicht, weil mich da meine Mutter abholt.‘ Hier muss dringend interveniert werden, um dem ausgegrenzten Kind zu signalisieren: ‚Das ist nicht in Ordnung, du hast nichts falsch gemacht, du bist richtig. Alle Kinder haben das Recht, sich frei zu entscheiden und kein Kind darf ausgeschlossen werden.‘“

Früh handeln, Kinder schützen

Wenn demokratische Werte unerwünscht sind, hat das Folgen nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Gesellschaft. Denn rechtsextreme Weltbilder machen nicht an der Wohnungstür halt, sondern dringen auch in Kitas, Schulen oder Sportvereine ein. Werden demokratiefeindliche Haltungen dort nicht früh erkannt und gestoppt, normalisieren sie sich schleichend. Prävention ist der Schlüssel, um Kinder vor der Verankerung rechtsextremer Ideologien zu schützen. Frühzeitiges Erkennen und Eingreifen kann verhindern, dass sich gefährliche Einstellungen festsetzen.Erzieher, Lehrer und Schulsozialarbeiter sind oft die Ersten, denen solche Kinder auffallen – durch bestimmte Aussagen, Spielverhalten oder das Wiederholen ideologischer Begriffe. Eva Prausner betont gegenüber der „neuen caritas“: „Oft sind Kitas oder Schulen die einzigen Orte, wo Kinder lernen, wie sie sich frei entfalten können oder so sein zu dürfen, wie sie sind oder gerne sein möchten – und wo sie spüren, dass es auch andere Umgangsformen gibt, die ihnen vielleicht besser gefallen oder die bei ihnen keine Angst erzeugen.“ Wichtig ist: Kinder aus rechtsextremen Familien sind keine Täter und tragen keine Schuld an der Weltanschauung ihrer Eltern. Je früher Kinder andere Perspektiven kennenlernen, desto besser können sich aus einem rechtsextremen Weltbild lösen. Um Kinder aus rechtsextremen Familien zu unterstützen, ist es wichtig:

  • früh hinzuschauen: Rechtsextremismus versteckt sich oft hinter subtilen Zeichen. Lehrkräfte, Erziehende und Nachbarn sollten sensibilisiert sein, diese zu erkennen.
  • Kinder nicht zu stigmatisieren: Sie tragen keine Schuld und brauchen sichere Räume, um Vertrauen zu fassen, zu hinterfragen und andere Sichtweisen zu erfahren – ohne Angst, die Familie zu verraten.
  • außerschulische Angebote zu stärken: Beratungsstellen und psychosoziale Unterstützung helfen Kindern, eigene Werte zu entwickeln und kritisch zu reflektieren.
  • demokratische Werte vorzuleben: Vielfalt, Mitgefühl und Gleichwertigkeit müssen in Schule, Jugendarbeit und Freizeit gelebt werden.
  • Unterstützung zu bieten: Familienmitglieder, die aus der Szene aussteigen wollen, brauchen psychosoziale Hilfe– ebenso wie Kinder, die sich innerlich lösen, aber noch keine Sprache dafür haben.

Ratsuchende können sich an die Fachstelle Rechtsextremismus und Familie (RuF) oder das Projekt Eltern Stärken wenden.

KF (31.10.2025)

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