Sexueller Missbrauch findet häufig innerhalb der Familie statt
Sexueller Missbrauch findet häufig innerhalb der Familie statt

Immer auf der Seite der Kinder

Die Aufklärung von Kindesmissbrauch erfordert von den polizeilichen Ermittlern eine besondere Sensibilität für die Opfer, aber auch ein hohes Maß von Sorgfalt bei den Ermittlungen, um die Wahrheit herauszufinden. Wir haben mit Kriminalhauptkommissar Andreas Ledtje, dem Leiter des Kommissariat 11 bei der Bezirkskriminalinspektion in Kiel, das unter anderem für Sexualstraftaten und Misshandlungen von Kindern zuständig ist, über seinen Arbeitsalltag gesprochen.

Wie wird die Polizei auf Fälle von Kindesmissbrauch aufmerksam?

Da gibt es viele Möglichkeiten. Wir werden von Angehörigen kontaktiert, aber es können auch Nachbarn sein, die eine Anzeige machen. Kindergärten melden sich auch immer mal wieder bei uns, wenn Betreuern auffällt, dass Kinder sich verhaltensauffällig benehmen. Und nicht zuletzt das Jugendamt, wenn es bei der Betreuung von Familien Auffälligkeiten feststellt. Erst letzte Woche hatten wir wieder einen Fall, bei dem das Jugendamt eine Anzeige erstattet hat. Immer häufiger kommt es auch zu Hinweisen von Internetnutzern, die etwa im Chat mit anderen Nutzern von einem Missbrauch erfahren.

Was können Sie zu den Tätern sagen? Kommen diese eher aus dem familiären Umfeld oder sind es Fremde?

Tatsächlich ist es so, dass die Täter in der Regel aus dem persönlichen oder sozialen Umfeld der Kinder kommen. Dass der Missbrauch durch Fremde, etwa durch eine spontane Aktion passiert, ist glücklicherweise eher die Ausnahme.

Vor welchen besonderen Herausforderungen bei den Ermittlungen stehen Sie, wenn die Tatverdächtigen aus dem familiären Umfeld kommen?

Zum einen stehen wir vor dem Problem, dass Angehörige immer ein Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber Familienmitgliedern haben. Und natürlich müssen wir die Erziehungsberechtigten um Erlaubnis fragen, bevor wir entsprechende Befragungen bei den Kindern durchführen. Das macht natürlich keinen Sinn, wenn die Erziehungsberechtigten selbst unter Verdacht stehen. In diesem Fall müssen wir eine Ergänzungspflegschaft beim Amtsgericht beantragen. Das bedeutet für uns deutlich mehr Aufwand und es macht die Angelegenheit sehr viel komplizierter. Dazu kommt dann der Zeitverlust, bevor eine Befragung beginnen kann. Die wirklich Leidtragenden sind hier natürlich die Kinder, die in einem Loyalitätskonflikt stehen, wenn sie erzählen sollen, dass ihnen von einer familiären Vertrauensperson Böses angetan wurde.

Wie beginnen Sie zu ermitteln und wann werden die Kinder befragt?

Tatsächlich geht es nach den ersten Hinweisen sofort los. Je nachdem, wer den Missbrauch anzeigt, beginnen wir natürlich mit einer Vernehmung des Initiativzeugen: Also, wer hat wann was festgestellt oder beobachtet. Dann versuchen wir so früh wie möglich das Kind anzuhören. Es ist für uns ganz wichtig, dass wir den O-Ton des Kindes bekommen und uns von ihm erst einmal die ganze Geschichte erzählen lassen. Im nächsten Schritt versuchen wir weitere Zeugen zu finden, die etwas Auffälliges beobachtet haben oder die Aussagen des Kindes bestätigen können. Außerdem schauen wir, ob die Kinder medizinisch untersucht werden müssen. Ein Rechtsmediziner sollte mögliche Verletzungsspuren, die durch sexuellen Missbrauch oder Gewalt entstanden sind, dokumentieren. Das geschieht natürlich gegenüber dem Kind mit größtmöglicher Sensibilität. So versuchen wir ein möglichst belastbares Bild zu bekommen, dass auch vor Gericht Bestand haben kann.

Wie laufen die Befragungen der Kinder im Detail ab?

Wenn die Eltern oder eben die vom Amtsgericht bestellten Ergänzungspfleger mit dem Kind auf die Dienststelle kommen, werden sie von einer Sachbearbeiterin oder einem Sachbearbeiter in einem Vorgespräch darüber informiert, wie die Befragung abläuft. Danach gehen wir mit dem Kind in ein spezielles Vernehmungszimmer, das kindgerecht ausgestattet ist. Zunächst geht es darum Vertrauen aufzubauen und einen Draht zum Kind zu bekommen. Das heißt, es kann auch mal sein, dass man sich mit dem Kind zum Spielen hinsetzt. Vorsichtig beginnen wir dann die Befragung, die vollständig per Video dokumentiert wird. Eine Kollegin oder ein Kollege sitzt in einem Nebenraum und beobachtet das Gespräch, das im Anschluss im Team besprochen und verschriftlicht wird. Wir versuchen natürlich, nach Möglichkeit die Eltern beziehungsweise die Erziehungsberechtigten oder den Ergänzungspfleger nicht mit im Raum sitzen zu haben, damit man eben tatsächlich ganz authentisch die Aussage des Kindes bekommt. Denn wir wissen alle, wenn das Kind befragt wird und die Eltern sitzen daneben, wird es immer zu diesen herüberschauen und sich rückversichern, wie es antworten soll. Darunter leidet die Konzentration des Kindes und die Qualität der Aussage. Die Kinder sollen frei heraus in eigenen Worten erzählen, was tatsächlich passiert ist. Die Kollegen sind natürlich alle geschult und wissen, wie Fragen möglichst offen gestellt werden und eine suggestive Beeinflussung vermieden werden kann. Der freie Bericht ist auch für eine spätere Gerichtsverhandlung sehr wichtig, damit es nicht hinterher so ausgelegt werden kann, dass dem Kind irgendwelche Worte in den Mund gelegt wurden.

Kriminalhauptkommissar Andreas Ledtje, Leiter des K11 in Kiel

Kriminalhauptkommissar Andreas Ledtje, Leiter des K11 in Kiel

privat

Beeinflusst es die Ermittlungen, wenn die Opfer bereits therapeutische Hilfe erhalten haben?

Um eine authentische Aussage von dem Kind zu bekommen, ist es wichtig, so früh wie möglich mit ihm zu sprechen, um eine Beeinflussung von außen auszuschließen. Also, wenn mir ein Vierjähriger etwas von „Penetration“ erzählt, würde ich schon einmal nachfragen, ob vielleicht eine Therapie oder ähnliches stattgefunden hat. Keine Frage, eine Therapie ist sehr wichtig und gut für das Kind, das Erlebte zu verarbeiten. Aber für die Ermittlungen kann es ein Stolperstein sein.

Dazu kommt, das nicht immer eindeutig geklärt werden kann, was real erlebt wurde und was der Fantasie des Kindes entsprungen ist. Nehmen wir ein Beispiel, das gerade in einem hiesigen Kindergarten geschehen ist: Dort hatten zwei Kinder ein Erlebnis, bei dem sie von Erwachsenen auf dem Nachhauseweg belästigt worden sind. Im Kindergarten gab es dazu richtigerweise ein Gespräch mit allen Kindern, indem sie davor gewarnt wurden, sich von fremden Menschen ansprechen zu lassen. Das hat einige Kinder so sehr beeindruckt, dass sie später den Betreuern von ähnlichen Erlebnissen erzählt haben. Wie sich dann aber im Nachhinein herausgestellt hat – und auch von den Kindern zugegeben wurde, gab es diese Ereignisse aber in Wahrheit gar nicht. Aber die Vorstellung davon hatte sich in den Köpfen der Kinder verfestigt. Für uns ist es dann manchmal sehr schwierig, auseinander zu halten, was ist Fantasie und was ist tatsächlich so passiert.

Besonders schwierig sind Ermittlungen auch dann, wenn der Missbrauch bereits längere Zeit zurück liegt und es keine Sachbeweise gibt und auch die Erinnerungen der Kinder oder anderer Zeugen ungenau sind.

Gibt es Ihrer Ansicht nach in den letzten Jahren eine Veränderung bei den Fällen von sexuellem Missbrauch?

Die Anzahl der Fälle in der realen Welt ist nach unserer Einschätzung gleichgeblieben. Dafür ist allerdings die Zahl der Fälle in der virtuellen Welt, also dem Internet, geradezu explodiert. Damit meine ich die Menge der Bilder und Videoaufnahmen von sexuellem Missbrauch, die in einschlägigen Foren kursieren. Das hat meiner Ansicht nach stark zugenommen. Über das Dunkelfeld kann ich allerdings nur spekulieren. Doch gerade weil es um Kinder geht, sind wir bei allen Ermittlungen in diesem Deliktbereich besonders sensibel und versuchen unsere Arbeit bestmöglich zu erledigen.

TE (29.08.2025)

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