Ein Ladendieb wird erwischt und von der Polizei festgenommen. Aufgrund mangelnder Haftgründe wird er jedoch nach kurzer Zeit wieder freigelassen. Solche Berichte stoßen in der Öffentlichkeit oft auf Unverständnis und Empörung. Was hat es mit den mangelnden Haftgründen auf sich? Warum muss die Polizei einen Täter gehen lassen?
Es müssen konkrete Haftgründe vorliegen
„Die Rechtslage in Deutschland sieht so aus, dass wir grundsätzlich von der Unschuld eines Tatverdächtigen ausgehen. Die Verurteilung, etwa zu einer Haftstrafe, kann nur durch den Richter erfolgen“, erklärt Lars Elsebach, Vorsitzender im Fachausschuss Kriminalpolizei der Gewerkschaft der Polizei. „Grundsätzlich darf der Staat keinem Menschen einfach so die Freiheit entziehen“, so Elsebach. Wird ein Dieb auf frischer Tat ertappt, muss der Staat erst beweisen, dass diese Person die Straftat begangen hat. Dazu führt die Polizei ein Ermittlungsverfahren durch. Eine Untersuchungshaft darf nur dann angeordnet werden, wenn die Haft zur Sicherung des Ermittlungsverfahrens erforderlich ist. Dazu muss nach Paragraf 112 der Strafprozessordnung (StPO) einer der folgenden Haftgründe erfüllt sein:
- Fluchtgefahr
- Verdunkelungsgefahr
- Verdacht der Schwerkriminalität oder
- Wiederholungsgefahr
Strenge gesetzliche Regelungen
Die Haftgründe sind genau definiert. Lars Elsebach: „Fluchtgefahr liegt zum Beispiel vor, wenn die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entzieht, weil er sich zum Beispiel ein Flugticket nach Mali besorgt.“ In einem solchen Fall kann eine Untersuchungshaft angeordnet werden, damit sich ein überführter Straftäter nicht ins Ausland absetzen kann. Ein weitere Haftgrund ist die Verdunkelungsgefahr. „Das heißt, es besteht die Gefahr, dass der Beschuldigte Zeugen bedroht oder Beweismittel vernichtet“, so Elsebach. Er erinnert sich an einen Fall, in dem ein Gebrauchtwagenverkäufer die Versicherung betrog, indem er Komplizen dazu anstiftete, absichtlich Verkehrsunfälle zu verursachen, um so eine erhebliche Summe von der Versicherung abzuschöpfen. „Als gegen ihn Anklage erhoben wurde, drohte der Beschuldigte den Mittätern, dass er sie erschlagen würde, wenn sie eine Aussage bei der Polizei machen“, berichtet Elsebach. Der Beschuldigte musste in Untersuchungshaft gehen, um die Zeugen nicht weiter einschüchtern zu können. Bei der Wiederholungsgefahr steht die Verhinderung künftiger Straftaten zum Schutz der Allgemeinheit im Vordergrund. Voraussetzung dazu ist, dass der Tatverdächtige dringend verdächtig ist und die Wiederholungsgefahr auf der Hand liegt. „In der Regel kann dieser Haftgrund nur bei schweren Sexualdelikten oder Serientätern angewandt werden. Die Delikte müssen in kurzer Zeit mehrfach begangen worden sein, sodass eine große Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie erneut begangen werden“, betont Elsebach. Auch ein Verdacht auf Schwerkriminalität ist ein Grund, jemanden in Haft zu nehmen. Dabei geht es immer um Verbrechen mit erheblicher Strafandrohung wie Mord, Totschlag, schwerer Raub, Geiselnahme oder Terrorismus. „Bei solchen schweren Straftatbeständen genügt bereits der Verdacht, diese Taten begangen zu haben, um eine Untersuchungshaft anzuordnen“, so der Experte. Trifft im Falle des auf frischer Tat ertappten Ladendiebs keiner der oben genannten Haftgründe zu, kommt der Täter auch nicht in Untersuchungshaft, sondern er wird freigelassen.
Haftrichter prüft Antrag auf Untersuchungshaft
Gelangen Polizei und Staatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass einer der genannten Haftgründe gegeben ist, muss der Fall dem Haftrichter vorgetragen und die beantragte Untersuchungshaft genau begründet werden. Polizei und Staatsanwaltschaft müssen darlegen, was passieren könnte, wenn der Beschuldigte auf freien Fuß gesetzt wird und warum es aus ihrer Sicht wichtig ist, dass die betreffende Person in Untersuchungshaft kommt. Erst wenn der Richter diesen Antrag bestätigt, kommt es zu einem Haftbefehl. In manchen Fällen kann der Verdächtige auch Auflagen erhalten. Dann muss er etwa seinen Reisepass abgeben oder sich regelmäßig bei der Polizei melden. Kommt es zur Untersuchungshaft, darf diese im Regelfall nicht länger als sechs Monate andauern. „Sonst muss ein Antrag auf Verlängerung gestellt werden. Das ist aber nicht endlos möglich“, sagt Elsebach. So musste zum Beispiel der Angeklagte im Frankenthaler Babymord-Prozess noch vor der Urteilsverkündung freigelassen werden, weil sich der Prozess zu lange verzögerte. In diesem Fall sah das Bundesverfassungsgericht sein Grundrecht auf Freiheit der Person verletzt. Das Pfälzische Oberlandesgericht ordnete daraufhin die Freilassung des Mannes an. Lars Elsebach: „Wenn ein Verfahren zu lange dauert, ist das kein Grund, um eine Verlängerung der Untersuchungshaft bis zum Urteilsspruch zu rechtfertigen.“ Zum Glück tauchte der Beschuldigte nach seiner Haftentlassung nicht unter, sondern erschien zu jedem Gerichtstermin.
Die Untersuchungshaft ist keine Strafe
Wird der Beschuldigte freigesprochen oder das Verfahren eingestellt, endet die Untersuchungshaft. Bei Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wird der Zeitraum der U-Haft auf die zu verbüßende Haftstrafe angerechnet, sodass sich die Haftzeit entsprechend verkürzt. „Dies macht nochmal deutlich, dass die Untersuchungshaft keinen strafenden Charakter haben darf. Sie dient ausschließlich der Sicherung des Strafverfahrens“, so Elsebach. Daher wird ein Beschuldigter in U-Haft auch nicht gemeinsam mit Strafhäftlingen untergebracht und genießt Privilegien gegenüber den regulären Gefangenen. Zum Beispiel ist die Arbeit in den Gefängnisbetrieben in der Untersuchungshaft grundsätzlich freiwillig. Außerdem hat jeder, der in U-Haft sitzt, einen gesetzlichen Anspruch auf einen Pflichtverteidiger. Schließlich kann im Prinzip jeder Mensch einer Straftat beschuldigt werden, auch wenn er oder sie die Tat nicht begangen hat. Daher ist es wichtig, dass man einen Verteidiger zur Seite gestellt bekommt, der die eigenen Rechte wahrt, bis ein rechtskräftiges Urteil gefällt ist.
AL (Stand: 28.05.2021)


