Die Ausschreitungen an Silvester in Berlin und anderen Orten Deutschlands haben eine große Medienaufmerksamkeit erzielt. Dabei konzentrierte sich die Diskussion vor allem auf die Täterinnen und Täter, ihre Motive und die Hintergründe. Die Situation der Einsatzkräfte wurde darüber fast vergessen. Fast 1.300 zusätzliche Beamtinnen und Beamte waren an Silvester im Einsatz – und wurden zum Teil mit extremen Situationen konfrontiert. 41 Einsatzkräfte wurden verletzt. Die Intensität der Angriffe war laut Polizeibericht stärker als in den Vorjahren. Sybille Krause aus dem Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei beschreibt im Interview, wie die Krawalle aus Polizeisicht wahrgenommen und verarbeitet wurden.
Frau Krause, wie haben die Polizistinnen und Polizisten, die bei den Sylvester-Ausschreitungen in Berlin im Einsatz waren, diesen erlebt?
Es war ja deutschlandweit nicht überall so schlimm wie beispielsweise in Berlin. Wo es tatsächlich geknallt hat, wurde es aber von den Kollegen und Kolleginnen als extrem chaotisch empfunden, auch im Vergleich etwa zu den üblichen Krawallen am 1. Mai. Da ist ja auch immer viel Theater und viel Gewalt. Aber die Silvesternacht hat das tatsächlich noch übertroffen. Vor allem die Sichtweite der Beamten wurden durch den Rauch und die Feuerwerksblitze extrem eingeschränkt. Teilweise betrug die Sicht keine fünf Meter. Selbst erfahrene Kolleginnen und Kollegen haben dann teilweise die Orientierung verloren.
Gab es physische oder psychische Verletzungen oder Beeinträchtigungen bei den Einsatzkräften nach den Krawallen?
Ich kann jetzt nur aus Berlin berichten. Hier hatten wir keine lebensbedrohenden Verletzungen. Aber es gab Fälle wie etwa eine Rakete, die unter einem Polizeihelm explodiert ist. Außerdem gab es Verletzungen wie Brandwunden, die noch eine Weile brauchen, bis sie verheilt sind. Die psychischen Verletzungen sind schwerer zu bestimmen, da man in die Kolleginnen und Kollegen nicht hineinschauen kann und nicht jeder möchte über sein Befinden sprechen. Zum Glück haben wir in Berlin innerhalb der Polizeibehörden viele Hilfsangebote. Doch zwischen den Bundesländern gibt es hier leider noch viel zu große Unterschiede. Es gibt zwar Bundesländer, die super aufgestellt sind. Dort gibt es gute Angebote, wo Kolleginnen und Kollegen sich behandeln lassen können oder sich einfach nur mal den Frust von der Seele reden können. Aber das gilt nicht für alle. Ich halte das für sinnvoll, denn solche Einsätze fordern die eigene psychische Belastbarkeit. Das geht nicht spurlos an einem vorbei. Besonders schlimm ist es auch für die ganz jungen Kolleginnen und Kollegen, die zum ersten Mal bei einem solchen Einsatz dabei gewesen sind, oder diejenigen, die im Rahmen ihrer Praktika vor Ort waren und die Gewalt erlebt haben. Da sind Ängste entstanden, die es schwer machen können, auch in Zukunft an solchen Einsätzen teilzunehmen.
Wie genau sehen die Betreuungsangebote für Polizistinnen und Polizisten aus? Welche Möglichkeiten gibt es, innerhalb der Polizeistrukturen solche Konflikte zu verarbeiten?
Wie gesagt: Berlin ist sehr gut aufgestellt. Wir haben einen eigenen psychologischen Dienst. Wir haben kirchliche Seelsorger. Bei uns gibt es ein Einsatznachsorgeteam. Das setzt sich aus einer psychosozialen Fachkraft und zwei ausgebildeten Peers zusammen. Die sind tatsächlich draußen vor Ort und betreuen dort die Kolleginnen und Kollegen. Notfalls nehmen sie diese auch aus der Konfliktsituation im Einsatz raus. Auch die Nachbereitung wird von ihnen übernommen. Dann haben wir noch soziale Ansprechpartner. Die werden bei der Polizei Berlin speziell ausgebildet. Das sind reguläre Kolleginnen und Kollegen, die man erst mal niederschwellig ansprechen kann, bevor man zum psychologischen Dienst geht. Ihnen kann man erzählen, was im Einsatz passiert ist und was einen bedrückt. Das ist schon viel wert. Und ansonsten haben wir auch sehr gute Fortbildungen, etwa Stress- oder Konfliktseminare. In anderen Bundesländern steckt eine solche Betreuung allerdings noch in Kinderschuhen.
Wie bewerten Sie die Einsatzplanung und -durchführung? Gab es da Defizite?
Ich glaube schon, dass der Einsatz vorher gut durchdacht worden ist. Das Problem ist einfach die benötigte Zahl von Polizistinnen und Polizisten vor dem Hintergrund unserer Überstundensituation. Wenn die Einsatzleitung weiß, dass ein Einsatz nur mit einer bestimmten Personalstärke gut gemeistert werden kann und wird, stellt sich die Frage: Wo bekomme ich dieses Personal her? Gerade vor dem Hintergrund, dass ganz viele Kolleginnen und Kollegen in den nächsten Jahren in Pension gehen und Nachwuchs nur in geringerer Zahl nachkommt, ist das ein Problem. Und was den konkreten Einsatz betrifft: Es lässt sich auch nur bedingt vorhersehen, wo die Konfliktherde entstehen werden. In Berlin gab es teilweise Böllerverbotszonen, doch dann knallt es drei Straßen weiter. Aber soviel Personal, dass man die Stadt komplett abdecken kann, gibt es nicht.
Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?
Ich wünsche mir auf jeden Fall mehr Personal, vor allem auch in der Sachbearbeitung. Denn wir müssen die Straftaten schneller aufarbeiten. Dabei sollten wir auch wesentlich enger mit der Justiz zusammenarbeiten. Bei den Silvesterkrawallen handelte es sich ja bei den Tätern meistens um junge Erwachsene, die noch unter das Jugendstrafrecht fallen. Da geht es ja weniger um Bestrafung als um erzieherische Maßnahmen. Doch die laufen ins Leere, wenn das juristische Verfahren erst zwei Jahre später stattfindet. Die jungen Erwachsenen müssen sofort spüren, dass ihr Verhalten Konsequenzen hat und sie dafür geradestehen müssen. Wenn die Gerichtsverhandlungen erst mit großem Zeitabstand erfolgen, weiß keiner mehr, was genau passiert ist, so dass es zu keinem Urteil oder nur zu einer Verwarnung kommt. Das führt aber nicht zu einer Verhaltensänderung und entfaltet keine Erziehungswirkung. Deswegen müssen wir früh in den Schulen mit der Präventionsarbeit anfangen, was wir ja auch schon machen. So gehen wir etwa zu Anti-Gewalt-Veranstaltungen schon in die Grundschulen. Da sind wir auf einem guten Weg. Doch Jugendämter, Bezirksämter, Justiz und Polizei müssen noch enger zusammenarbeiten.
Welche Position bezieht die GdP zu den Krawallen und gibt es konkrete Forderungen an die Politik?
Als GdP plädieren wir definitiv für ein Böller-Verkaufsverbot, das gegebenenfalls auch nur regional gilt. Außerdem sollte der Besitz von Schreckschusspistolen registriert werden und die Halter sollten über einen Kleinen Waffenschein verfügen müssen. Und schließlich würde ich mir auch wesentlich mehr Rückendeckung von der Politik gegenüber der Polizei wünschen. Denn jeder, der die Polizei angreift, greift auch den Staat an und ich muss nicht alles schönreden, sondern ich muss auch mal sagen wie es ist. Aber wenn man nicht mal die Politik hinter sich hat und manchmal auch nicht mal die Polizeiführung, dann macht es natürlich den Kolleginnen und Kollegen alles noch mal doppelt so schwer. Und dann sollten die Menschen da draußen nicht vergessen: In einer Uniform steckt halt auch ein Mensch, eine Tochter, ein Sohn, eine Mutter, ein Vater. Und wenn man die Bilder von den Krawallen gesehen hat, bekommt man als ein Familienangehöriger Angst um seine Leute. Also ich kann das aus eigener Erfahrung sagen. Ich bin als Polizistin selbst nicht mehr draußen, aber meine Tochter sehr wohl. Ich habe Angst um sie, obwohl ich weiß, wir sind beide gut ausgestattet. Wir wissen auch, wie wir uns verhalten können. Aber wenn man, wie Silvester geschehen, in einen Hinterhalt gelockt wird und sogar Rettungskräfte mittlerweile angegriffen werden, dafür habe ich keine Worte mehr.
TE (24.02.2022)
 
  
  
													

 
																	 
																	 
																	 
																	 
																	