Von Bäumen gesäumte Landstraßen sehen zwar schön aus, bergen für Autofahrer aber auch große Risiken, die von vielen unterschätzt werden. Im Jahr 2019 starben etwa 513 Menschen, weil sie auf einer Allee mit einem Baum kollidierten. In Brandenburg starben 31 Prozent der bei Verkehrsunfällen Getöteten bei Baumunfällen, in Niedersachsen waren es 28,5 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern waren es 25 Prozent. Dr. Detlev Lipphard, Leiter des Fachbereichs Straßenverkehrstechnik beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) in Bonn, erklärt im Interview, welche Maßnahmen getroffen werden sollten, um Alleen für Autofahrer sicherer zu machen.
Herr Lipphard, was macht Alleen so gefährlich?
Das Problem ist, dass die Bäume meist sehr nah am Fahrbahnrand stehen. Baumunfälle haben fast immer schwere Folgen – sie sind entweder mit schweren Verletzungen verbunden oder enden sogar tödlich. Ein Baum ist ein sehr festes Hindernis. Selbst kleine Bäume, die erst wenige Jahre alt sind und noch gar nicht so stabil aussehen, können zur tödlichen Gefahr werden. Wir kennen Beispiele von schwersten Unfällen, wo jemand gegen einen relativ kleinen Baum geprallt ist und durch den Aufprall gestorben ist. Eine weitere Problematik: Autofahrer sind oft abgelenkt oder zu schnell unterwegs – Bäume verzeihen aber auch kleine Fahrfehler nicht. Viele meinen auch, sie könnten im Ernstfall zwischen zwei Bäumen hindurchsteuern. Bei den Geschwindigkeiten, die auf Landstraßen üblich sind, ist das aber nahezu unmöglich. Auch das Wechselspiel von Licht und Schatten kann Probleme bereiten. Außerdem wird auf Landstraßen gerne überholt. Dann kann es etwa sein, dass man ein Fahrzeug oder einen Radfahrer im Schatten übersieht.
Ist diese Problematik denn allgemein bekannt?
Nein, den meisten Menschen sind diese Risiken nicht bewusst. Bei einer bundesweiten DEKRA-Umfrage im Jahr 2013 hatten vor einem Baumunfall nur zehn Prozent der Befragten am meisten Angst, 72 Prozent jedoch vor einem Unfall mit Wild. Dabei endet Letzteres nur sehr selten tödlich.
Dr. Detlev Lipphard
Leiter des Fachbereichs Straßenverkehrstechnik beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) in Bonn, © DVR
Welche Maßnahmen müssten aus Sicht des DVR getroffen werden, um die Zahl der Baumunfälle zu reduzieren?
Uns kommt es auf zwei Kernpunkte an: Der eine betrifft den Umgang mit bestehenden Alleen, der zweite das Pflanzen von neuen Bäumen. Zu Maßnahmen rund um bestehende Baumbestände sagen wir grundsätzlich: Man sollte sich auf Alleen konzentrieren, die unfallauffällig sind. Wenn dies der Fall ist, sollten Schutzmaßnahmen umgesetzt werden, die sich in der Vergangenheit bewährt haben, wie etwa das Anbringen von Schutzplanken. Bäume zu entfernen sollte das letzte Mittel sein und nur dann geschehen, wenn nichts anderes mehr möglich ist. Hier sollte dann aber die Unfallkommission und die jeweilige Natur- und Landschaftsbehörde mit ins Boot geholt werden, denn das Fällen von Bäumen ist zu Recht ein sensibles Thema in der Bevölkerung. Wenn neue Bäume gepflanzt werden sollen, ist grundsätzlich zu beachten: Die sicherste Landstraße ist die mit freiem Seitenraum. Deshalb Neuanpflanzungen von Alleen bitte nur mit Schutzplanken. Sonst schafft man die Unfallstrecken der Zukunft.
Können denn an jede Allee Schutzplanken gesetzt werden?
Die Technik hat in dem Bereich große Fortschritte gemacht. Es gibt mehrere Schutzplanken-Systeme, die auch dann zum Einsatz kommen können, wenn ein Baum sehr nahe an der Straße steht. Es gibt fast keine Abstände, bei denen man die Schutzplanken nicht anbringen kann. Oft genügt es, die Schutzplanke nur in den Kurvenbereich einer Allee zu setzen. Damit ist dann auch den Belangen des Landschaftsschutzes Genüge getan, weil es immer noch gut aussieht. Wichtig: Handelt es sich um eine Strecke, auf der auch viele Motorradfahrer unterwegs sind, sollten es unbedingt Planken mit einem so genannten Unterfahrschutz sein. Sonst erkauft man sich einen Vor- mit einem Nachteil. Denn reguläre Schutzplanken können verheerende Folgen für stürzende Motorradfahrer haben, wenn sie gegen die Längsstreben der Planken prallen. Ein Unterfahrschutz verhindert dies.
Welche Möglichkeiten gibt es außer den Schutzplanken noch?
Gerade vor Kurvenabschnitten oder gefährlichen Streckenabschnitten sind Geschwindigkeitsbeschränkungen sinnvoll. Das Land Brandenburg hat etwa einen speziellen Baumerlass, der besagt, dass grundsätzlich auf Alleen nur noch Tempo 70 erlaubt ist. Es reicht aber nicht aus, nur die Geschwindigkeit zu begrenzen, das muss dann auch überwacht werden. Auch Überholverbote oder weitere Warnschilder können in diesem Bereich unterstützend wirken.
Das klingt alles nachvollziehbar. Was macht die Umsetzung so schwierig?
Naturschützer haben eine andere Sichtweise. Der DVR stellt das menschliche Leben in den Mittelpunkt: Wir möchten alles tun, um Straßen sicherer zu machen. Viele Naturschützer machen es sich aus unserer Sicht zu einfach, indem sie sagen: Schuld hat der Mensch, er hat einen Fahrfehler begangen. Der Baum kann nichts dafür, der Baum springt ja nicht auf die Straße. Das behauptet auch niemand. Es ist aber nun mal so, dass das Vorhandensein eines Baumes eine potenzielle Gefahr für Autofahrer ist. Es ist hier wichtig, ins Gespräch zu kommen – was auch regelmäßig geschieht. Es gibt auch Bereiche, bei denen Konsens herrscht, etwa bei der Geschwindigkeitsbegrenzung und -überwachung, der Ausweitung von Überholverboten oder dem Aufstellen von Kurvenzeichen. Beim Thema Schutzplanken haben wir uns auch schon angenähert.
WL (04.03.2021)