Wird Strom zu einem Luxusgut?
Wird Strom zu einem Luxusgut?

Hessische Energieschuldenberatung unterstützt Verbraucher

Steigende Energiepreise verstärken Armut

Steigende Energiepreise sind zurzeit ein wesentlicher Treiber der Inflation. Besonders Menschen aus den unteren Einkommensschichten treffen die Preissteigerungen hart, warnen Sozialverbände. Initiativen wie „Hessen bekämpft Energiearmut“ der Verbraucherzentrale Hessen e.V. beraten und unterstützen Betroffene.

Energieversorger reagieren mit Stromsperren

Wer seine Stromrechnung nicht bezahlen kann, dem droht eine Energiesperre. Ein Leben ohne Licht, ohne Waschmaschine, Herd und Kühlschrank ist in unserer modernen Welt kaum vorstellbar. Doch laut Auskunft der Bundesregierung auf eine Anfrage aus dem Parlament im Jahr 2021 sind rund 300.000 Haushalte jährlich in Deutschland von Stromsperren betroffen. Es sind vor allem Hartz-IV-Empfänger, aber auch viele Rentner, Familien und Alleinerziehende, denen der Strom abgestellt wird. „Ursache ist häufig, dass die Menschen sich wegducken und versuchen, die Situation auszublenden“, erzählt Nicole Hensel, Projektleiterin der Initiative „Hessen kämpft gegen Energiearmut“. Sie erinnert sich beispielsweise an den Fall einer Rentnerin, die völlig verzweifelt angerufen hat, da sie bereits seit einer Woche ohne Strom gewesen ist. Hintergrund war, dass sie eine Nachzahlung von 5.000 Euro leisten sollte und dass der künftige Abschlag auf 300 Euro im Monat neu festgesetzt wurde. Diese Zahlungen konnte sie über viele Monate nicht leisten und es kam deshalb zur Sperre. Bei der Überprüfung stellte sich dann heraus, dass der Zähler um eine 10er Potenz zu hoch falsch abgelesen wurde. „Ich habe dann den entsprechenden Anbieter sofort kontaktiert; und obwohl es ein Freitag war, wurde der Strom noch am gleichen Tag wieder freigeschaltet“, so Hensel. „Das ist eine der Stärken von unserem Projekt: Wir verfügen über direkte Kontakte zu vielen Versorgern, sodass es dann in der Regel auch schnell geht.“ In diesem Fall wurde die Rechnung korrigiert und es entstand sogar ein Guthaben von 70 Euro und die Abschläge wurden an den tatsächlichen Verbrauch angepasst. Menschen, die in finanzielle Notlagen geraten, neigen dazu, Rechnungen und Mahnungen zu ignorieren. Häufig sind bereits eine Vielzahl von Schulden aufgelaufen, doch erst wenn der Strom abgestellt wird, verdeutlicht das vielen Menschen, in welchem Dilemma sie sich befinden. „Briefe kann man ignorieren, aber wenn der Strom abgestellt wird, kann man das nicht mehr verdrängen. Da ist Schluss. Da muss man sich auseinandersetzen“, so die Erfahrung der Juristin. Sie empfiehlt, nicht so lange zu warten, sondern die Hilfe der Energieschuldenberatung viel früher in Anspruch zu nehmen. Ein Arbeitsschwerpunkt des Projekts „Hessen bekämpft Energiearmut“, das vom Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz finanziert wird, liegt in der Mediation, also in der Vermittlung zwischen Energieversorgern und Schuldnern.

Nicole Hensel, Projektleiterin „Hessen bekämpft Energiearmut“

© Verbraucherzentrale Hessen e.V.

Überprüfung der Abrechnung

„Wenn Menschen uns kontaktieren, überprüfen wir zunächst, ob die Rechnungen einwandfrei sind oder ob ein Ablese- oder Abrechnungsfehler vorliegt“, erklärt Nicole Hensel. Sie ist Juristin und seit Jahren bei der Verbraucherzentrale Hessen e.V. im Bereich Energie tätig. Ungewöhnlich hohe Abrechnungen können beispielsweise zustande kommen, wenn der Verbrauch etwa über einen längeren Zeitraum nur geschätzt wurde – und das zu niedrig. Wird dann über eine Ablesung der tatsächliche Verbrauch festgestellt, kann das zu einer außergewöhnlich hohen Jahresabrechnung und zu einem deutlichen Anstieg der monatlichen Abschlagszahlungen führen. In diesem Fall kann dann in Verhandlungen mit dem Energieversorger etwa erreicht werden, dass die Abschlagszahlungen neu berechnet und gegebenenfalls wieder gesenkt werden. Doch auch bei hohen Nachzahlungen, die ärmere Haushalte schnell überfordern können, versucht die Energieschuldenberatung als Mediator zwischen Versorgern und den betroffenen Verbrauchern Lösungen zu finden, wie etwa die Vereinbarung von Ratenzahlungen. Die Bandbreite der Anfragen an die Energieschuldenberatung ist groß. So werden Tipps gegeben, wie eine Abrechnung zu lesen und zu verstehen ist, oder was unternommen werden kann, wenn sich die persönliche finanzielle Situation eines Ratsuchenden – etwa durch Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit – verschlechtert hat und die Abschlagszahlungen nicht mehr geleistet werden können. „Nach unserer Erfahrung ist es immer der beste Weg, den Energieversorger direkt zu kontaktieren, denn wenn man nicht reagiert, bleibt diesem auch nichts anderes übrig, als irgendwann den Strom abzustellen“, empfiehlt Hensel. Und nicht immer funktioniere es so schnell und problemlos wie bei der Rentnerin, dass der Strom wieder angestellt wird. Dazu kommen außerdem noch weitere Kosten für die Aufhebung der Sperre. Dies ist häufig ein hoher dreistelliger Betrag. Aber in der Regel seien die Unternehmen an einer einvernehmlichen Lösung interessiert, so die Erfahrung der Projektleiterin.

Energiesparmaßnahmen senken Verbrauch

Wenn in der Beratung festgestellt wird, dass der Energieverbrauch generell zu hoch ausfällt, etwa im Vergleich zu Haushalten ähnlicher Größe, wird der Kontakt zur einer Energiesparberatung vermittelt, um die Ursachen für den hohen Verbrauch zu ermitteln und – falls möglich – nachhaltig zu senken. Allerdings muss man dabei berücksichtigen, dass häufig die Wohnsituation der Verbraucher kaum effektive Einsparungen zulässt, etwa weil das Gebäude schlecht gedämmt ist und vielleicht sogar mit energiefressenden Stromradiatoren geheizt wird. Manchmal kann dann schon die Anschaffung eines energiesparenden Kühlschranks oder anderer Elektrogeräte den Stromverbrauch senken. Für die Ratsuchenden ist es nicht immer einfach, ihre zum Teil prekäre Lebenssituation vor den Energieschuldenberatern auszubreiten. Da spielt auch Scham eine große Rolle. „Wir nehmen uns sehr viel Zeit und versuchen, Vertrauen aufzubauen“, erzählt Nicole Hensel. „Doch das Schöne an unserer Arbeit ist, dass wir etwas bewirken können und wir dann die Erleichterung bei unseren Verbrauchern spüren, wenn eine Lösung gefunden wurde und beispielsweise der Strom wieder angestellt wird.“

TE (28.01.2022)

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