Die Schule sollte ein Ort des Respekts und des friedlichen Miteinanders sein. Doch eine im letzten Jahr veröffentlichte Forsa-Umfrage, bei der im Auftrag des Verbands Bildung und Erziehung e.V. (VBE) bundesweit insgesamt 1.951 Lehrer an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland befragt wurden, bestätigt vielfältige Erfahrungen der Pädagogen mit Gewalt. 55 Prozent der Befragten haben in den letzten fünf Jahren Fälle psychischer Gewalt gegen Lehrkräfte erlebt. 21 Prozent berichten von Fällen physischer Gewalt. Was können Lehrerinnen und Lehrer gegen rohe Verhaltensweisen im Schulalltag unternehmen?
Keine Toleranz
„Manches wird als dummer Schulstreich bezeichnet, auch wenn es längst kein Streich mehr ist“, betont Jürgen Böhm, Bundesvorsitzender vom Verband Deutscher Realschullehrer (VDR). Es gehört zwar durchaus zum jugendtypischen Verhalten dazu, die Grenzen des Gegenübers – ob nun der Eltern oder der Erzieher – auszutesten. Allerdings können schon verbale Angriffe einen Menschen tief verletzen. Deshalb müssen Lehrkräfte ihren Schülerinnen und Schülern klarmachen, dass verbale Entgleisungen und rohe Gewalt weder auf dem Schulhof, noch im Klassenzimmer geduldet werden. Böhm meint: „Diese Aufgabe können die Lehrerinnen und Lehrer aber nicht alleine leisten. Bildung muss immer im gesamtgesellschaftlichen Kontext gesehen werden. Auch die Familie spielt eine entscheidende Rolle und das soziale Umfeld, aber auch eine stabile gesellschaftliche Situation.“ Böhm nimmt hier auch die Eltern in die Pflicht: „Der Lehrer sollte keinesfalls zum Freiwild erklärt werden.“ Schule sei längst kein abgeschotteter Raum mehr, sondern stehe im Mittelpunkt der Gesellschaft.
Gewaltausbrüchen entgegentreten
Am besten ist es, wenn die Lehrkraft von Anfang an versucht, ein gutes Verhältnis zu den Schülern aufzubauen. Falls ein Lehrer mit Gewalt konfrontiert wird, sollte er sich auf keinen Fall provozieren lassen und entsprechende Sanktionen verhängen. Um herauszufinden, warum sich der Schüler oder die Schülerin dem Lehrer gegenüber so verhalten hat, hilft es, die eigene Betroffenheit über die Situation auszudrücken und nach dem Grund für die Ausschreitung zu fragen. Die Lehrkräfte müssten während ihrer Ausbildung auf solche Situationen vorbereitet werden, fordert Böhm. „Der Lehrer sollte eine offene Persönlichkeit sein und sich mit den Schülern entsprechend offen auseinandersetzen. Das kann auch in Gesprächstrainings geübt werden. Je offener der Umgang ist und je offener die Gesellschaft ist, desto mehr kann man Gewaltausbrüchen entgegentreten“, ist der VDR-Bundesvorsitzende überzeugt.
Mit Bildung zum Erfolg
Strafrechtlich kann gegen Gewalt gegenüber Lehrkräften bislang kaum vorgegangen werden, denn für einen Straftatbestand muss eine Strafmündigkeit vorliegen. Kinder unter 14 Jahren können strafrechtlich allerdings nicht belangt werden. Die Lehrkräfte sollten daher die erzieherischen Maßnahmen, die ihnen zur Verfügung stehen, konsequent nutzen: Eine Ermahnung, das Ausschließen eines Schülers oder einer Schülerin vom Unterricht oder die schriftliche Benachrichtigung der Eltern. Helfen solche Maßnahmen nicht, droht in letzter Konsequenz der Schulverweis. Allerdings sollten auch die Rahmenbedingungen des Schul- und Bildungssystems verbessert werden. Böhm sieht deshalb auch die Politik gefordert, mehr in die Bildung zu investieren: „Die Rahmenbedingungen an den Schulen müssen sich unbedingt der Situation anpassen. Deshalb brauchen wir Unterstützung durch zusätzliches pädagogisches Personal. Auch in der Digitalisierung gibt es noch einigen Nachholbedarf“, mahnt Böhm. Die Bildungspolitik habe zwar in vielen Bundesländern Reformen angestrengt, es sei aber auch gespart worden.
Klare Verhaltensnormen vermitteln
Grundsätzlich hält Böhm an den Potenzialen des deutschen Schul- und Bildungssystems fest: „Wir leben in einer sehr chancenreichen Gesellschaft und die Möglichkeiten für junge Menschen, durch Bildung zum Erfolg zu kommen, sind so gut wie nie zuvor. Wir haben ein qualitativ sehr gutes und differenziertes Schulwesen in Deutschland.“ Er empfiehlt, aufgrund von Studien keine schnellen Schlussfolgerungen zu ziehen. Schulkinder seien nicht per se gewalttätiger geworden: „Gerade im ländlichen Bereich gibt es nicht solche starken Auseinandersetzungen wie in städtischen Milieus.“ Eine differenziertere Sicht der Dinge sei daher durchaus angebracht. Trotzdem darf das Problem nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Wenn es zu psychischer oder physischer Gewalt gegenüber Lehrkräften kommt, müssen klare Grenzen gesetzt werden. Dafür braucht es von allen Seiten einen Konsens darüber, dass Gewalt in unserer Gesellschaft keinen Platz haben darf. AL (24.02.2017)