Manche Menschen, die von einer Straftat wissen und den Täter oder die Täterin bestraft sehen wollen, wollen bei einer Anzeige nicht ihre Identität preisgeben. Sie fürchten Racheaktionen der von ihnen beschuldigten Person. Ist in einem solchen Fall eine anonyme Anzeige eine gute Alternative? Oder gibt es bessere Lösungen?
Anonyme Anzeigen haben weniger Gewicht
Sie sind sich sicher: Ihr Nachbar ist Mitglied in einem Kinderpornoring und sein PC mit dem belastenden Foto- und Videomaterial befindet sich im Keller seines Hauses. Um sich selbst zu schützen, erstatten Sie bei der Polizei eine anonyme Anzeige. Doch die Polizei erhält von der Staatsanwaltschaft keinen Durchsuchungsbescheid für die Wohnung und die Geschäftsräume Ihres Nachbarn. Der Grund: Der Schutz der Wohnung ist höher einzuschätzen als der anonyme Hinweis, bei dem man nichts über die Anzeige erstattende Person und ihre Motive weiß. Auch eine Klage gegen diesen Bescheid hat keinen Erfolg. So hat das Landgericht Augsburg in einem Fall entschieden. Und das aus gutem Grund: Sie könnten ja ein beruflicher Konkurrent sein, der seinen Mitbewerber mit einer haltlosen Verdächtigung gesellschaftlich ruinieren will. Sie könnten auch eine wütende Nachbarin sein, die sich eigentlich über etwas ganz anderes bei ihrem Nachbarn ärgert und ihm zu ihrer persönlichen Genugtuung eine ungerechtfertigte Kinderporno-Anzeige an den Hals wünscht.
In einer gerichtlichen Hauptverhandlung muss ein Zeuge oder eine Zeugin namentlich benannt werden
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Schutz vor Denunziationen
Es gibt gute Gründe dafür, dass grundsätzlich die Personalien aufgenommen werden, wenn man eine Strafanzeige erstattet. Allgemeine Verdächtigungen dürfen nicht zu Ermittlungen führen. Wenn die Identität der oder des Anzeigenden zweifelsfrei feststeht, können die Ermittlungsbehörden Ihre Aussage besser einschätzen und man kann sie bei Rückfragen erreichen. Anonyme Anzeigen werden hingegen in der Regel mit großer Vorsicht behandelt und nur beachtet, wenn nachprüfbare Hinweise auf erhebliche Straftaten vorgebracht werden. Dies ist etwa beim sogenannten Whistleblowing der Fall, wenn also anonyme Personen aus einem Unternehmen oder einer Institution der Polizei und Staatsanwaltschaft handfeste Belege etwa für Korruption oder Betrug zuspielen. Laut Bundesverfassungsgericht ist eine beträchtliche sachliche Qualität der Anzeige oder die gleichzeitige Vorlage von schlüssigem Tatsachenmaterial nötig, damit die Strafverfolgungsbehörden auf Basis einer anonymen Anzeige tätig werden. So will man Denunziantentum verhindern und die Unschuldsvermutung wahren.
Anonym Anzeige erstatten – so geht‘s
- Melden Sie Ihre Beobachtungen über das Telefon, ohne Ihren Namen zu nennen. Sie können Ihren Verdacht jedoch mitteilen. Beachten Sie: Bei einer telefonischen Anzeige kann man Ihre Telefonnummer sehen, wenn Sie keine Rufnummernunterdrückung nutzen.
- Auch ein anonymer Hinweis per Brief ist möglich, den Sie natürlich ohne Absender einstecken.
- Eine anonyme Online-Anzeige ist schwieriger. Die Formulare von Onlinewachen verlangen üblicherweise Informationen zur eigenen Person. Auch über die IP-Adresse des absendenden Computers kann die Polizei recherchieren, von welchem Gerät die Anzeige erfolgt ist.
Unterschied bei Strafanzeige und Strafantrag
Dabei wird zwischen Strafanzeige und Strafantrag unterschieden: Ein Verfahren kommt in Gang, wenn Polizei oder Staatsanwaltschaft Kenntnis von einer Straftat erhält. Das kann ohne den Anstoß von außen geschehen, wenn die Polizei etwa die Spuren eines Einbruchs bemerkt, oder dadurch, dass eine Strafanzeige erstattet wird. Die Strafanzeige ist eine reine Tatsachenmitteilung: Ein Bürger oder eine Bürgerin informiert die Polizei über einen möglicherweise strafrechtlich relevanten Sachverhalt. Die Ermittlungsbehörden müssen dem nachgehen, wenn sie die Belege für stichhaltig erachten. Im deutschen Recht gibt es jedoch auch Delikte, die nur auf Antrag des Opfers verfolgt und bestraft werden. Dazu gehören etwa Hausfriedensbruch, üble Nachrede und Beleidigung, aber auch die Verletzung des Steuergeheimnisses. Dafür müssen Sie einen Strafantrag stellen. Der Strafantrag ist also eine schriftliche Erklärung, dass man die Strafverfolgung in einem bestimmten Fall ausdrücklich wünscht. Deshalb kann eine Strafanzeige anonym erfolgen, ein Strafantrag jedoch nicht.
Anonymisierung über die Anwaltskanzlei
Statt eine anonyme Anzeige zu stellen, kann es im Einzelfall besser sein, der Polizei bei der Anzeigenerstattung Ihre Sorge vor einer Bedrohung mitzuteilen. Dann können Ihr Name und Ihre Adresse geheim gehalten werden. Das geschieht so: Sie geben statt Ihrer Privatadresse die Adresse Ihres Anwaltsbüros an. Bei schwerwiegenden Fällen kann die Polizei auch eine Zustelladresse einrichten. Die Folge: In den Akten, die auch die Anwälte der beschuldigten Personen einsehen, wird Ihr Name nicht genannt. Es ist jedoch nicht möglich, während eines gesamten Verfahrens anonym zu bleiben. Während des Ermittlungsverfahrens können Angaben noch vertraulich behandelt werden, aber spätestens in einer gerichtlichen Hauptverhandlung muss ein Zeuge oder eine Zeugin namentlich benannt werden. WL (30.09.2022)