Gefährliche TikTok-Challenges
Übergriffig und gefährlich
TikTok ist vor allem bei jungen Menschen beliebt
© kinomaster/stock.adobe.com
Im Oktober 2023 werden zwei Mädchen aus Garmisch-Partenkirchen in eine Klinik eingeliefert. Die 13- und 14-Jährigen haben sich stark mit Capsaicin gewürzte Chips an einem Automaten gekauft und gegessen. Daraufhin haben sie massive Atemproblemen bekommen und mussten zur stationären Überwachung in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Bei der „Hot Chip Challenge“ werden die Reaktionen der Jugendlichen beim Verzehr gefilmt und von ihnen als Tiktok-Video veröffentlicht.
Auch in der Gesamtschule in Köln-Chorweiler fuhr der Krankenwagen auf dem Schulhof vor, nachdem ein Sechstklässler einen solchen Chili-Chip verzehrt hatte. Die Symptome waren so stark, dass der Junge zur Untersuchung ins Krankenhaus gebracht wurde. In den USA starb ein 14-Jähriger im Krankenhaus, nachdem er an der Chip-Challenge teilgenommen hatte. Dass diese Chips nicht für unter 18-Jährige geeignet sind, steht nur im Kleingedruckten auf der Rückseite der Verpackung. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) warnt vor dieser Mutprobe. „Der Verzehr führte vereinzelt bereits zu ärztlichen Noteinsätzen“, bestätigt das BfR in Bezug auf die Hot Chip Challenge: „Verbraucherinnen und Verbrauchern rät das BfR zur Vorsicht bei der Aufnahme von unüblich stark mit Capsaicin gewürzten Lebensmitteln sowie großen Mengen extrem scharfer Chilisaucen und Chiliextrakten, wie etwa bei Scharfesswettbewerben. In diesem Fall sind schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen möglich, die unter Umständen lebensbedrohlich sein können.“ Der Inhaltsstoff Capsaicin sorgt bereits in geringen Mengen für Magenkrämpfe, Erbrechen und Durchfall. In hohen Mengen steigt der Blutdruck so stark an, dass dies im schlimmsten Fall lebensbedrohlich werden kann. Wer sich Bestandteile des Chili-Pulvers in die Augen reibt, kann außerdem seine Augen nachhaltig schädigen.
Teilnehmende wollen andere beeindrucken
Internetmutproben wie die Hot Chip Challenge gehören zum übergeordneten Phänomen der sogenannten Pranks. Damit sind mehr oder weniger harmlose Streiche gemeint. Videos von Pranks werden dann auf den Socialmediakanälen wie TikTok oder YouTube veröffentlicht. Manche dieser Videos werden milliardenfach angeklickt und es gibt Videokanäle, die ausschließlich Pranks zeigen. Je drastischer die Szenen sind, desto höher steigen die Klickzahlen. Nur die wenigsten Challenges dienen einem guten Zweck wie etwa im Jahr 2014 die „Ice Bucket Challenge“, bei der sich Prominente mit eiskaltem Wasser übergießen ließen, um Geld zur Erforschung der Nervenkrankheit ALS zu sammeln. Die Teilnehmenden heutiger Challenges sind meist 12 bis 19 Jahre alt. Sie fordern ihre Freundinnen und Freunde auf, ebenfalls an den Challenges teilzunehmen und sich dabei zu filmen. Wer mitmacht, erhält soziale Anerkennung und kann andere beeindrucken. Bei einer von Tiktok in Auftrag gegebene Umfrage gab die Hälfte der Befragten an, dass der Wunsch, andere zu beeindrucken, ein wichtiger Grund für die Teilnahme an einer Challenge sei.
Todesfall bei Deo-Challenge
Der Inhaltsstoff Capsaicin in den Chips sorgt für die extreme Schärfe
© Mitumial via Wikimedia Commons
Die Hot Chip Challenge ist nicht das einzige gefährliche Phänomen dieser Art. Bei der Deo-Challenge sprühen sich Jugendliche so lange Deodorant auf die Haut wie sie können. Die Chemikalien in den Sprühflaschen können schwere Verbrennungen auf der Haut verursachen. Bei einer noch gefährlicheren Variante dieser Challenge sprühen sich die Jugendlichen das Deo auch in die Atemwege. Dies kann zu Bewusstlosigkeit, Atemlähmung und Herzversagen führen. Im nordrhein-westfälischen Coesfeld ist nach einer solchen Challenge bereits ein Jugendlicher zu Tode gekommen. Andere Challenges rufen zum Wetthungern auf oder zum illegalen Klettern auf hohe Gebäude. Bei Challenges, die zur Selbstverletzung oder zur Selbststrangulation aufrufen, ist das Risiko, dabei zu Tode zu kommen, für Außenstehende offensichtlich.
Sexuelle Übergriffe und Bloßstellung
Bei der sogenannten „Arschbohrer Challenge“ kommt es zu sexuellen Übergriffen zwischen den Jugendlichen. Einer formt seine Hände zu einer Pistole und stößt sie dann in einem unbemerkten Moment einem seiner Mitschüler oder – seltener – einer Mitschülerin zwischen die Pobacken. Das Opfer des Pranks zuckt erschrocken zusammen. Manchmal amüsiert es sich gemeinsam mit dem Täter im Nachhinein über die Situation. Dritte nehmen die überraschte oder verärgerte Reaktion mit ihrem Handy auf und stellen sie online. „Das war sehr saftig“, kommentiert ein User ein solches TikTok-Video. Ein anderer schreibt: „Arschbohrer kriegt jeder.“ Zartbitter Köln, eine Kontakt- und Informationsstelle gegen sexuellen Missbrauch, spricht bei der Arschbohrer-Challenge „von einer regelrechten Epidemie“, die vor allem unter Jungen an weiterführenden Schulen grassiere. Durch das Filmen und Verbreiten vervielfacht sich die Wirkung des Pranks für die Betroffenen. Die Opfer des Pranks werden nicht immer gefragt, ob sie damit einverstanden sind, dass die Videos veröffentlicht werden. Dadurch werden sie bloßgestellt und stigmatisiert.
Tipps für Eltern
Kira Liebmann, die Gründerin der Akademie für Familiencoaching im bayerischen Maisach, gab im Gespräch mit einer großen Tageszeitung unlängst einige Tipps für Eltern, deren Kinder an solchen Challenges teilnehmen. Als erstes appelliert Liebmann an die Vorbildfunktion der Eltern: „Wenn ich will, dass mein Kind keine gefährlichen Challenges annimmt und sich auf TikTok und Co. inszeniert, sollten Eltern selbst auch bei keinen Online-Herausforderungen mitmachen – und seien sie vermeintlich noch so harmlos“. Wenn Eltern Kindern etwa rohe Eier auf den Kopf hauen, sollten sie bedenken: „Wenn ich es mache, könnte es das Kind nachmachen. Oder schlimmer, mich versuchen zu übertrumpfen“, so Liebmann. Ihr zweiter Tipp ist, bereits früh mit den Kindern über ihren Medienkonsum zu reden: „Halten Sie bereits in friedlichen Zeiten Verbindung und Kontakt zu dem Kind.“ So könne man auch in den schwierigen Jahren der Pubertät stets fragen, was gerade Trend sei und was sie so für Videos drehten. Ihr dritter Tipp betrifft das Selbstbewusstsein der Jugendlichen. Das gilt es zu stärken: „Trotz allem Gruppenzwang, bei dem sich Jugendliche beweisen wollen, sollten sie von klein auf ermutigt werden, auch Nein zu sagen“, rät die Expertin. Dafür sollten die Eltern ihren Kindern vorleben, nicht alles zu erdulden. Im Gespräch könne man erklären, dass die Videos kein harmloser Spaß sind und dass das Kind bei den Challenges nicht mitmachen muss, nur um vor den Freundinnen und Freunden gut dazustehen.
WL (27.10.2023)
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